Darum, meine geliebten Brüder und Schwestern, seid standhaft, lasst euch nicht erschüttern, tut jederzeit das Werk des Herrn in reichem Masse! Ihr wisst ja: Im Herrn ist eure Arbeit nicht umsonst.
1 Kor 15,58
Wir leben in einer Zeit der Erschütterung. Was seit einigen Tagen in unserem Land geschieht, war vor wenigen Wochen noch kaum vorstellbar. Fast von einem Tag auf den anderen steht das soziale Leben eines ganzen Landes still. Theater und Kinos sind geschlossen, Bibliotheken leihen ihre Bestände nur noch online und auf dem Postweg aus und der Konsum ist auf den nötigsten Luxus (ich könnte in der Not ohne Probleme auf neun der zehn Pastasorten verzichten, würde dafür aber gerne weiterhin Freilandeier kaufen können und nicht vor einem leeren Gestellt stehen. Aber auch das ist ein Luxusproblem!). Die Verwaltung hat ihren Betrieb reduziert und den Kirchen ist es untersagt Veranstaltungen durchzuführen und Gottesdienste zu feiern. Nur für Beerdigungen gibt es eine Ausnahme: Nur am Grab, nur die nächsten Angehörigen, keine Risikogruppen, keine Trauernden mit Symptomen und mindestens zwei Meter Abstand zu einander. Trost und Nähe vermitteln unter besonderen Umständen, die elementare Handlungen des Tröstens verunmöglichen. Keine Umarmung, kein stärkender Händedruck, kein Gottesdienst, in dem ehrlich vor Gott geklagt, gedankt, bereut und ungelöstes in Gottes Erbarmen übergeben werden kann. Nur Augenkontakt aus der Distanz. Distanzierte Trauer. Distanzierter Trost. Und doch Trost, der sich gegen die Trostlosigkeit der Zeit und der Situation stellt.
Ja, unsere Welt ist erschüttert. Unser Leben auf den Kopf gestellt. Was Halt gibt, ist nicht mehr möglich oder durch die Umstände bestimmt. Grosseltern dürfen ihre Enkel nicht mehr hüten. Nur noch aus der Ferne winkt man sich zu oder begegnet sich medial vermittelt. Schule ist nicht mehr ein Müssen, plötzlich wird sie von Schülerinnen und Schülern vermisst. Nicht unbedingt wegen dem Lernstoff, sondern weil sie ein sozialer Ort ist. Der Rhythmus von Arbeit, Freizeit, Erholung; von Alltag und Sonntag ist gestört. Halt und Orientierung gehen verloren. Damit löst sich auch ein Stück Lebenssinn auf. Die bedrohliche Lage relativiert den Wert von vielem.
In eine solche Lage hinein schreibt Paulus an die Gemeinde in Korinth. Für die Gläubigen damals war klar, das Reich Gottes steht unmittelbar vor der Tür. Es ist so nahe, dass kein Mensch aus ihrer Gemeinschaft mehr sterben wird, bis das Himmelreich auf Erden kommt, in dem es keinen Tod mehr geben wird. Doch das Kommen des Auferstandenen liess auf sich warten. Schliesslich starben Gemeindeglieder. Ihr Tod erschütterte die Glaubensgewissheit der Korintherinnen und Korinther. In diese Erschütterung hinein schreibt Paulus und ermutigt die Gemeinde. Mit ihr hören auch wir seine Worte.
Auch wenn unser Weg erschüttert ist, so ist unser Tun doch nicht um sonst. Wir mögen mitunter den Sinn nicht mehr sehen, doch wenn wir in unserem Tun und Lassen auf Jesus vertrauen, ist es nicht umsonst.
Darin liegt das Besondere in unserer Arbeit, unserem Handeln, Tun und Lassen als Christinnen und Christen, dass wir «Im Herrn» arbeiten, handeln, tun und lassen. Unser ganzes Leben steht unter diesem «Im Herrn». «Im Herrn» heisst, dass all unser Tun und Lassen in einen grösseren Zusammenhang eingeordnet ist. Wir tun und lassen nicht für uns. Wir tun und lassen nicht für unsere Familie. Wir tun und lassen nicht für unser Vaterland. Wir tun und lassen nicht für die Menschheit. Denn in all dieses Tun und Lassen gibt es ein ausserhalb. Tue und lasse ich für mich, so dreht sich meine Welt um mich. Ich stehe im Zentrum, meine Weltsicht ist egozentrisch. Steht die Familie im Zentrum, dann zieht sich eine Grenze zum Nicht-Verwandten. Steht mein Vaterland im Zentrum, dann unterscheide ich zwischen Schweizern und Ausländern. Steht die Menschheit im Zentrum wird ihr die Natur und die Schöpfung untergeordnet. Ja, es gibt auch eine Art Christus ins Zentrum zu stellen, die nicht im Herrn ist. Dann wenn der Glaube zum Unterscheidungskriterium gemacht wird. Wo es Gläubige und Nicht-Gläubige gibt, da steht das Tun und Lassen nicht im Herrn. Erst wenn der Glaube nicht mehr trennt, sondern zum Vertrauen wird, wird aus dem religiösen Menschen ein Christ. Im Vertrauen wandelt sich das Verhältnis. Nicht mehr ich und ein mehr oder weniger weit gefasster Kreis um mich herum, steht im Zentrum, sondern im Vertrauen darf ich aus dem Zentrum treten. Im Vertrauen tritt Gott in das Zentrum. Steht er im Zentrum, so ist mein Tun und Lassen in ihm gehalten.
Im Vertrauen auf Gott verwandelt sich unser Tun und Lassen. In diesem Vertrauen wird aus abgesagten Gottesdiensten, im Angebot von Einkaufshilfe für Risikogruppen, aus dem Abschied am Grab im allerengsten Familienkreis, aus der E-Mail mit Ideen an die Schülerinnen und Schüler, aus der Sitzungen via Zoom und Skype, aus dem Schmücken der leeren Kirche, aus dem Verzicht auf Besuche bei Seniorinnen und Senioren – kurz aus all unserem Tun und Lassen das Werk des Herrn. Denn das Werk des Herrn ist nicht ein bestimmtes Werk, sondern eine Haltung. Es ist das Handeln und Nichthandeln aus dem Vertrauen auf Jesus Christus.
So dürfen und sollen wir auch in der gegenwärtigen Lage uns nicht erschüttern lassen, sondern standhaft bleiben im Vertrauen. Wo wir auf Jesus hoffen, da tun wir das Werk des Herrn. Da arbeiten wir an seinem Reich.
Geschichte
Als in Köln der Dom gebaut wurde, entstand eine der grössten Baustellen des Mittelalters. Nicht nur der werdende Dom war eine Attraktion, sondern auch die Baustelle zog Schaulustige und Interessierte aus nah und fern an.
Einmal soll gar der Kaiser selbst die Baustelle besucht haben. Inkognito versteht sich, denn er wollte keine Show sehen, sondern die wirklichen Handwerker kennenlernen. So schlenderte er durch die Werkstatt der Steinmetze.
Er sprach einen Arbeiter an, der mit festen Hammerhieben einen Stein zurecht schlug. «Werter Handwerker, was tut ihr hier?» «Habt ihr keine Augen im Kopf?» antwortete jener, «Ich behaue einen Stein!»
Der Kaiser ging weiter, etwas brüskiert über die groben Worte. Doch was hatte er erwartet? Er war auf einer Baustelle und nicht im Thronsaal!
So kam er zum nächsten Arbeitsplatz. Mit geschickten Händen schlug der Künstler ein Blumenornament aus dem Sandstein. «Werter Handwerker, was tut ihr hier?» fragte der Kaiser auch ihn. Ganz in seine Arbeit vertieft und ohne aufzuschauen, antwortete der Gefragte: «Ich arbeite, damit es meiner Familie gut geht.»
Der Kaiser lächelte zufrieden. Die Antwort hatte ihn überzeugt. So kam er zum dritten, der gerade mit Hammer und Meissel einem Engel seine Flügel schenkte. Auch ihn sprach er an: «Werter Handwerker, was tut ihr hier?» Jener lächelte nur und sprach: «Ich baue einen Dom!»
Der Kaiser klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. Zufrieden machte er sich auf den Weg und dachte: Hier arbeiten fleissige Handwerker.
Auf dem Weg hinaus kam ihm ein einfacher Bursche entgegen, der als Handlager angestellt worden war. Aus einer Laune sprach der Kaiser auch ihn an: «Bursche, was tut ihr hier?» Das Gesicht des Burschen strahlte auf und sein Mund sprach: «Ich baue am Reich Gottes!» antwortete jener, «denn in dieser Kirche wird den Menschen das Evangelium verkündet werden.» Der Kaiser verstand und lächelte nur zurück.