Christus spricht: In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.
Joh 16,33
Der Frühling beschenkt uns in diesem Jahr mit prächtigem Wetter. Der Himmel ist stahlblau. Die Sonne sendet wärmende Strahlen. Blumen verwandeln die Wiese beim Haus in ein Farbenmeer. Die Vögel singen ihr Lied. Die Bäume zeigen erstes zartes Grün und die Kirschen blühen. Das Leben ist wunderbar und leicht in diesen Frühlingstagen. Beim Blick nach draussen könnte man die Lage fast vergessen.
Doch dieser Frühling ist getrübt. Nicht durch Wolken am Himmel. Auch nicht durch Streit in unseren Herzen, unseren Familien oder unserem Land. Er ist getrübt, weil ein Virus durch unser Land zieht. Er ist getrübt, weil dieser Virus eine Lungenkrankheit auslösen kann, der gerade für gesundheitlich geschwächte Menschen akute Lebensgefahr bedeuten könnte. Es liegt ein Schatten über ihm. Todesschatten.
Die Ambivalenz des Lebens wird in diesen Tagen besonders deutlich. Auf der einen Seite ist das Leben ein wunderbares Geschenk. Es voll glücklicher Momente, magischer Abenteuer, spirituellen Entdeckungen, lebendigen Beziehungen und unbeschreiblichem Glück. Auf dieser Seite verlieben sich Menschen, werden Kinder geboren, werden grosse Entdeckungen gemacht und lange Konflikte friedlich beigelegt. Es ist das Paradies auf Erden.
Auf der anderen Seite steht das Leben aber auch immer unter der Last der Trennung. Diese Seite des Lebens ist die Seite der Grenzen. Unser Können und unsere Fähigkeiten sind begrenzt. Unseren Beziehungen sind Grenzen gesetzt. Unser Leben ist durchzogen von mehr oder weniger tiefen Brüchen. Immer wieder müssen oder wollen wir aufbrechen. Stets lassen wir Menschen zurück oder werden von ihnen zurückgelassen. In unserem Leben werden wir immer wieder von neuem aus dem Paradies vertrieben. Aus der Geborgenheit des Mutterschosses, aus dem Spiel der Kindheit, aus der Leichtigkeit der Jugend, aus der Macht des Erwachsenenlebens und schliesslich aus der Freiheit des Alters. Das Paradies ist verloren. Glück finden wir in der Welt immer nur für den Moment. All unser Sein ist von der Zeit geprägt. Es ist Vergänglichkeit. Getrennt von der Ewigkeit Gottes.
Unser Leben führen wir in der Ambivalenz. Himmelhochjauchzend – zu Tode betrübt. Lackschuh oder Barfuss. Selters oder Schampus. Die Welt umfangend oder im Mauseloch. Mal Hansdampf, mal Hanswurst. Mal mit Sonne im Herzen und dann wieder von Finsternis umfangen. Mal mächtig, mal ohnmächtig.
Von Pol zu Pol. Von West nach Ost. In der ganzen Spanne der Welt. Es ist keineswegs so, dass wir in der Welt immer Angst haben. Nicht einmal als Christinnen und Christen. Schon gar nicht als Christinnen und Christen. Wir haben nicht immer Angst. Aber wir haben auch nicht nie Angst. Weil helles und dunkles zur Welt gehören, so gehört auch die Angst, von der Jesus spricht, mit zu dieser Welt.
Ja, wir erfahren Angst und ab und an fürchten wir uns! Das ist so und das ist gut so.
Doch Jesus will uns aus der Angst befreien. Er zeigt uns einen Weg. Er ist der Weg.
Am Kreuz überwindet er die Welt. Er überwindet sie in ihrer Ambivalenz. Nicht nur die Schattenseiten der Welt sind in ihm überwunden. Was er anbietet ist kein «Weiter, wie gehabt, nur besser». Es ist eine ganz neue Art des Lebens.
Christus überwindet die Welt. Er besiegt sie nicht, sondern er überwindet sie. Würde er sie besiegen, so entstünde in diesem Sieg nur eine neue Trennung. Es würde zwischen Siegern und Verlieren unterschieden. Würde Jesus die Welt besiegen, so hätte die Welt verloren. Es gäbe keinen Grund zur Hoffnung. Doch Christus besiegt die Welt nicht. Er überwindet sie.
Überwinden heisst über etwas hinauszusteigen. Am Kreuz steigt Jesus über die Welt hinaus. Er durchbricht eine Grenze. Er durchbricht den Himmel. Er durchbricht die Grenze, die uns von Gott trennt. Christus überwindet die Welt mit ihrer Trennung von Licht und Schatten, Leben und Tod, Gut und Böse. Er überwindet die Vergänglichkeit und eröffnet den Weg zur Ewigkeit. Er geht den Weg zum Vater. Wir dürfen ihm folgen. Denn er hat die Welt überwunden.
Gebet
Niklaus von der Flühe
Mein Herr und mein Gott,
nimm alles von mir,
was mich hindert zu dir.
Mein Herr und mein Gott,
gib alles mir,
was mich führet zu dir.
Mein Herr und mein Gott,
nimm mich mir
und gib mich ganz zu eigen dir.
Amen