Ein täglicher Gedanke in Zeiten des Virus – Tag 68

Geht ihr hinauf zum Fest; ich gehe nicht hinauf zu diesem Fest, denn meine Zeit ist noch nicht erfüllt.
Joh 7,8

Nun ist es soweit. Der Bundesrat erlaubt den Kirchen sich wieder zum Gottesdienst zu versammeln. Er schafft extra für die Glaubensgemeinschaften eine Ausnahme zum geltenden Versammlungsverbot. Für unsere Landesregierung scheint damit der Zeitpunkt gekommen zu sein, die Verantwortung den Kirchen, Synagogen, Moscheen und Tempeln zu übergeben. Sind sie auf diese Verantwortung vorbereitet? Ist die Zeit erfüllt, sich wieder zum Gottesdienst zu versammeln?

Keine leichte Frage, finde ich. Die Antwort darauf fällt mir schwer und ich bin froh, die Entscheidung nicht alleine treffen zu müssen. Die Merkblätter und Konzepte der Landeskirche geben wichtige Hinweise und regeln vieles, aber sie nehmen die Verantwortung nicht ab. Als Gemeinde, als Pfarrer und als Gemeindeglied stehen wir jeweils in der Verantwortung.

Was heisst dies für mich als Christ und Glied unter Gliedern am Leib Christi? Was heisst es für mich als Mitglied unserer Ortsgemeinde?

Ich fühle als erstes eine gewaltige Freude. Ich habe es vermisst mit anderen zusammen Gott zu feiern. Es fehlt mir mit anderen über das Geheimnis des Glaubens zu sprechen. Es verlangt mich danach in Gemeinschaft zu beten, zu danken und Segenskraft zu empfangen. Es zieht mich in die Kirche. Es zieht mich zum Gottesdienst. Denn Gottesdienstfeiern heisst für mich, die Fülle des Lebens bewusst wahrzunehmen.

«Ich bin Leben, das leben will», schrieb Albert Schweitzer in seinem Buch «Ehrfurcht vor dem Leben». Doch bleibt er dabei nicht stehen. «Ich bin Leben, das leben will» wäre Egoismus, wenn es nicht um den zweiten Teil des Zitates ergänzt würde. Es lautet vollständig: «Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.»

Als Christ habe ich eine Verantwortung dies nicht nur zu erkennen, sondern mich vor dieser Erkenntnis auch zu verantworten. Noch ist das Coronavirus nicht aus unserer Gesellschaft verschwunden. Ich kann es in mir tragen, ohne es zu merken. Ich kann es übertragen, ohne es mir bewusst zu sein.

Kann ich unter diesen Umständen mit ganzem Herzen Gottesdienst feiern? Ist die Zeit für mich gekommen, mit anderen vor Gott zu treten?

Klar, jeder ist für sich selbst verantwortlich. Niemand muss kommen und gerade die besonders gefährdeten Menschen sollen auch weiterhin zu Hause bleiben. Aber kann ich unter diesen Umständen Gottesdienst feiern? Kann ich ganz bei Gott sein, wenn ich weiss, dass andere vom Gottesdienst praktisch ausgeschlossen sind? Wenn nicht alle eingeladen sind?

Mir fällt dies schwer. Ich kann unter diesen Umständen nicht mit ganzem und ungeteiltem Herzen Gottesdienst feiern. Vielleicht klingt dies furchtbar fromm, aber ich kann es nicht mit der Majestät Gottes vereinbaren, anders als mit ganzem und ungeteiltem Herzen vor ihn zu treten. Vor Gott gibt es keine halben Sachen. Vor ihm gibt es kein halbes Herz. Daher möchte ein Teil von mir die Zeit noch reifen lassen. Denn alles hat seine Zeit.

Nicht nur in Corona-Zeiten, auch vor 2000 Jahren galt dies. Als die Jünger Jesus zum Laubhüttenfest, einem der grossen Feste des Judentums, das an das Geschenk der Zehn Gebote erinnert, nach Jerusalem wollten, da erklärte Jesus ihnen, dass seine Zeit noch nicht gekommen sei. Jesus selbst geht nicht zum Gottesdienst nach Jerusalem. Die Zeit für ihn ist noch nicht reif. Es ist zu früh sich am Kreuz der Welt hinzugeben. Noch ist der Zeitpunkt für die Offenbarung Gottes nicht gekommen. Jesus bleibt zu Hause. Dennoch hindert er seine Jünger nicht am Gehen. Er hindert auch uns nicht am Gottesdienst, er hindert uns nicht noch abzuwarten.

Was würde uns Jesus in unserer Situation raten? Er, der immer auf Gott hingewiesen hat und doch auch immer ganz bei den Schwachen seiner Zeit war.

Ist die Zeit gekommen Gottesdienste zu feiern? Ich weiss es nicht.

Ich bin mir aber gewiss, dass wo sich eine Christin oder ein Christ aus welchen Gründen auch immer entscheidet dem Gottesdienst (noch) fern zu bleiben, Jesus mit ihr und ihm ist. Wo die Zeit noch nicht erfüllt ist, da bleibt Christus doch präsent. Im Vertrauen auf ihn dürfen wir warten. Im Vertrauen auf ihn dürfen wir Gottesdienst feiern. In ihm ist unsere Zeit erfüllt mit Leben, Kraft und Trost.

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