Pfingsten

Ihr habt doch nicht einen Geist der Knechtschaft empfangen, um wiederum in Furcht zu leben; nein, ihr habt einen Geist der Kindschaft empfangen, in dem wir rufen: Abba, Vater!
Röm 8,15

Von Gott geliebte Menschen

Wir wollen und wir sollen heute Pfingsten feiern. Wir sollen und wir wollen uns heute erinnern, dass Gott uns seinen Geist sandte. Der Heilige Geist kam auf jene Menschen, denen der auferstandene Christus begegnet war. Sie sahen und hörten ihn. Thomas fasste gar in seine Wunden. Sie vertrauten auf Gott. Sie trauten ihm alles zu.

Wer mit dem Auferstandenen auf dem Weg war. Wer mit ihm sprach. Wer mit ihm ass und trank. Wer mit ihm in Galiläa wanderte. Wer ihn auf den Berg der Himmelfahrt begleitete. Wem dies zuteilwurde, der kannte keinen Zweifel. Er konnte nichts als glauben, wie auch Thomas glauben musste, als er seine Finger in die Wunde legte.

Das Vertrauen auf Gott fällt leicht, wo dieser Gott im Auferstandenen gegenwärtig ist. Der Glaube fällt leicht, wo er sich an Beweisen festhalten kann. Wer die Auferstehung von den Toten erlebt hat, den kann der Tod nicht länger schrecken. Er weiss, dass der Tod bezwungen ist. Er weiss, weil er es gesehen hat.

Er kann als Augenzeuge mit Thomas sagen: „Mein Herr und mein Gott!“ Doch dieser Herr und Gott wird ihm antworten: „Du glaubst, weil du mich gesehen hast. Selig, die nicht mehr sehen und glauben!“ (Joh 20,24)

Die nicht mehr Sehenden sind die Menschen nach Auffahrt. Der auferstandene Christus ist den Augen entzogen. Thomas und den anderen Jüngern blieb nur die Erinnerung.

Wie schnell sie doch verblasst, die Erinnerung. Die Gewissheit wird zur Zuversicht. Die Zuversicht wird zum Versprechen. Das Versprechen wird zur Hoffnung. In die Hoffnung schleicht sich Zweifel ein. Bald ist er grösser als die Hoffnung. Aus Zweifel wird Angst.

Die Gemeinde in Rom, an die sich Paulus wendet, lebt in Furcht. In echter Furcht, wie sie auch uns nur allzu oft in der Welt ergreift. Gleich nicht in ihrem Anlass, aber gleich in ihrem Wesen. Denn unsere Furcht hat andere Gründe, als ihre Furcht damals.

Die Gemeinde in Rom fürchtete sich vor Entdeckung. Ihr Kult war dem Staat nicht genehm. Das junge Christentum gehörte nicht zu den erlaubten Religionen. Ihre Ablehnung des Herrscherkultes, bei dem die verstorbenen Kaiser zu Göttern erhoben wurden, liess sie als Revoluzzer und Unruhestifter erscheinen. Sie störten den inneren Zusammenhalt der römischen Bürger, deren einheitsstiftendes Motiv eben jener Kult um den römischen Kaiser war. Kein Kult hiess keine Einheit. Keine Einheit hiess keinen Zusammenhalt. Kein Zusammenhalt hiess innere Konflikte. Das frühe Christentum bedrohte die Existenz Roms. Kein Wunder, dass es immer wieder aufs schärfste verfolgt wurde.

Die Gemeinde in Rom hatte Grund zum Fürchten.

Auch wir fürchten uns immer wieder.

Ich meine nicht die wohlige Furcht, die uns mitunter bei einem guten Thriller ergreift. Ich meine nicht die erhabene Furcht, die uns zuweilen bei Blitz und Donner eines Sommergewitters wohlige Schauer über den Rücken laufen lässt. Ich meine nicht die kleine Furcht beim Zahnarzt, wenn wir wartend auf den Doktor bereits die Instrumente vor uns erblicken.

Dies alles ist keine Furcht, sondern Spannung, Schauder und Aufregung.

Ich meine die Angst, die mich packt, wenn ich über unsere Zukunft als Menschheit nachdenke. Die Weltbevölkerung wächst exponentiell, sie explodiert geradezu! Gewalt und Unterdrücken beherrscht ganze Weltregionen. Die Umwelt leidet in einem Masse, wie sie nie zuvor gelitten hat. Es ist nicht fünf vor zwölf. Es schlägt schon zwölf! Und dennoch wird Umweltpolitik nach wie vor im Blick auf die eigenen Interessen gemacht. Nicht das Wohl aller, sondern das Wohl der eigenen Wähler, der eigenen Wirtschaft und der eigenen Macht steht im Zentrum. Anstatt die Welt zu retten, will jeder noch ein möglichst grosses Stück der zugrunde gehenden Welt ausbeuten!

Das Haus brennt! Doch keiner beginnt zu löschen! Mehr als „Man sollte!“, „Es wäre an der Zeit!“ oder „Wenn doch nur!“ ist nicht zu hören. Den guten Worten folgen kaum gute Taten. „Soll doch der andere zuerst!“

Es wird immer deutlicher, dass die Ressourcen unserer Erde nicht unerschöpflich sind. Sie gehen zur Neige. Das Ende naht.

Wir haben Angst vor der Endlichkeit. Die Angst lässt uns erstarren. Der Geist der Furcht ist ein lähmender Geist. Er hindert nicht nur den einzelnen, sondern die Gesellschaft am Leben. Er hindert am Leben, weil er es nicht zulässt, dass wir die nötigen Schritte tun. Dass wir unser Menschenmöglichstes tun.

Die Furcht führt uns in die Knechtschaft. Die Symptome der Knechtschaft sind sichtbar in unserer Gesellschaft. Ich erkenne sie in der Angst vor der Zukunft, der Furcht vor dem Fremden, dem Misstrauen gegen die Kirche und ihren Vertretern und der Skepsis gegen wissenschaftliche Erkenntnisse, die den eigenen Überzeugungen widersprechen. Auf dem Boden der Knechtschaft gedeiht der Populismus in all seinen Formen. Er braucht keine Debatte. Er braucht kein Diskurs. Der Populismus als Ausdruck der Furcht will keinen Wandel. Er erklärt zum Feind, was ihm widerspricht.

Was hat dies nun mit Pfingsten zu tun?

Zu Beginn der Knechtschaft der Furcht steht die Angst. Die Angst in all ihren Formen ist Ausdruck der existenziellsten Art der Angst. Die Urform dieser Angst ist die Angst vor dem Tod – dem ewigen Tod.

Jesus Christus nahm am Kreuz dem ewigen Tod die Macht. In der Auferweckung am Ostertag, wurde es der Welt verkündet. Thomas begriff es, als er nach dem Auferstandenen griff. Doch es kam Auffahrt. Es blieb nur die Erinnerung.

Die Erinnerung ist zu schwach, als dass sie den Geist der Furcht im Herzen des Menschen überwinden kann. Nur ein Geist kann einen Geist überwinden. Nur der Geist Gottes kann den Geist der Furcht als Gespenst entlarven.

Dieser Geist kam an Pfingsten. Wir haben es in der Lesung gehört. Es ist der Heilige Geist, der uns aus der Knechtschaft der Furcht befreit. Wo wir frei sind, da sind wir Kinder Gottes.

Der Heilige Geist weckt in uns, die wir nicht sehen, den Glauben. Er legt sich in die Gemeinschaft. Er legt sich auf die Kirche. Die Kirche ist Gemeinschaft der Befreiten. Sie ist Gemeinschaft unter dem Geist Gottes.

Auf der Kirche ruht der Geist Gottes. Es ist diese Kirche, die vom Wort Gottes ins Sein gerufen wird. Diese Kirche ist nicht die reformierte und nicht die katholische. Es ist nicht diese von Veltheim, Schinznach oder Thalheim. Es ist keine Kirche aus Stein, Beton, Glas oder Holz. Es ist überhaupt keine Kirche, die in der Welt existiert. Denn alle Kirchen, die in der Welt fassbar sind, sind weltliche Kirchen. Doch die Kirche des Wort Gottes ist ein Werk des Himmels. Auf ihr ruht der Geist.

Wo die Gemeinschaft der weltlichen Kirche sich mit der himmlischen überschneidet, ist auch in ihr der Geist wirksam. Wo wir den Ruf des Wortes hören und uns unter ihm versammeln – wirklich unter ihm und unter nichts anderem, so wird der Geist von Pfingsten auch auf uns gelegt.

Doch wird dieser Geist nicht zu unserem Besitz. Er bleibt unverfügbar, wie die unsichtbare Kirche des Wort Gottes menschlicher Kontrolle entzogen bleibt. Und dennoch kann sie uns erfassen. Nicht als Besitz, sondern als Gabe. Als Geist der kommt, wo wir um ihn bitten. Als Geist der befreit, wo wir ihn und nur ihn alleine wirken lassen. Als Geist der Zukunft und Hoffnung schenkt, auf das wir leben. Leben in der Kraft des Wortes Gottes.
Amen

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