Ihr wisst doch:
Im Stadion laufen zwar alle Läufer um die Wette,
aber nur einer gewinnt den Siegespreis.
Lauft so, dass ihr ihn gewinnt!
1. Korinther 9,24
Von Gott geliebte Menschen
Mit einem Geständnis fange ich heute an. Ich gestehe es ein: Als Schüler war mein Lieblingsfach nicht der Sport. Ich bin überhaupt kein Sportlicher. Nicht nur heute, sondern auch schon als Schüler.
Natürlich habe ich das damals nicht laut gesagt. Schliesslich wollte ich auch dazugehören und so habe ich dann immer gelogen, wenn in einem Poesiealbum oder auf einem Steckbrief, den man ausfüllen musste, nach dem Lieblingsfach gefragt wurde.
Sport war nicht mein Lieblingsfach – dabei habe ich mich eigentlich doch gern bewegt und tue es auch heute noch. Mein Problem war nicht die Bewegung, sondern dass diese Bewegung immer vermessen wurde. Wie hoch? Wie weit? Wie schnell? Wie viele Klimmzüge, Liegestützen, Kniebeugen…? Die Leistung zählte! Die Leistung wurde zur Note. Die Note war nie die beste in meinen Zeugnissen.
So war die Zeit vor den Sommerferien für mich in sportlicher Hinsicht immer eine schwierige Zeit. Denn in diesen Wochen fand damals immer die Tössstaffette statt. Ein Ausdauerlauf in Form einer Staffette, an dem unsere Klasse immer teilnehmen musste. Natürlich wurde im Turnunterricht im Frühling darauf hingearbeitet. Wir Schülerinnen und Schüler mussten immer längere Ausdauerläufe absolvieren. Die Besten kamen dann in die beiden Mannschaften unserer Klasse.
Ich habe nie dazugehört. Ich habe es nicht in die zweite Mannschaft geschafft und von der ersten habe ich nicht einmal träumen können. Dabei wollte ich doch auch dazugehören. Wie gern wäre ich doch auch eine Sportkanone gewesen.
Und jetzt verwendet Paulus das Bild vom Ausdauerlauf als Sinnbild für das christliche Leben. Er redet von vergänglichen und unvergänglichen Siegeskränzen. Die Goldmedaille bekommt nur der Sieger! Das oberste Treppchen besteigt nur die Siegerin!
Und ich soll jetzt so rennen, dass ich diesen Siegeskranz erringe! Dabei habe ich es nie in die Mannschaft geschafft.
Der Himmel – das Reich Gottes – also nur für die Siegerinnen und Sieger? frage ich mich. Das Bild deprimiert mich. Mir ist es unmöglich. Schaffe ich es nicht im Sport, wo die Zeit gemessen wird, wie wenig habe ich dann im Leben eine Chance, wo die guten Taten zählen? Wo nur eine den Siegeskranz erringen kann.
Lohnt es sich dann überhaupt, an diesem Rennen teilzunehmen, wenn man weiss, dass man nicht gewinnen kann? Wenn für einen vergängliche und unvergängliche Siegeskränze einfach zu hoch hängen?
Doch schauen wir genau hin. Worum geht es Paulus eigentlich?
Als erstes fällt mir auf, dass diese Verse in einem Abschnitt stehen, in dem Paulus über sich selbst und seine Mission schreibt. Er will die Menschen gewinnen. Er will die frohe Botschaft in ihrer Sprache verkünden. So wird er für die Heiden ein Heide und für die Juden ein Jude.
Er schreibt an die Gemeinde in Korinth. So schreibt er zu Heiden- und Judenchristen zugleich. Das Bild des Wettlaufs ist beiden bekannt. Beide Gruppen kennen Religion als System der Leistung. Die Heiden opferten ihren Göttern. Die Juden hielten sich an das aus dem Alten Testament abgeleitete System von religiösen Ge- und Verboten. Beide kannten aus eigener Erfahrung, dass man im religiösen Leben versagen kann. Es ist wie im Wettbewerb: Nur einer kann gewinnen. Renn, damit du gewinnst! scheint das Motto der alten Religionen zu sein.
Nun standen bestimmt nicht alle Mitglieder der Gemeinde in Korinth auf der Siegerseite des Lebens. Viele von ihnen dürften Sklavinnen und Sklaven gewesen sein. Gewiss gab es auch einige Handwerker unter ihnen. Sie kannten die harte Arbeit und wussten, dass diese nicht immer mit Erfolg gekrönt wurde. Sie wussten, wie es ist, zu verlieren.
Doch Paulus mutet ihnen und damit auch uns das Bild des Wettlaufs zu! Er nimmt ihre Lebenserfahrung des Nicht-Genügens und des Scheiterns auf.
Er beginnt mit dem Bild des strahlenden Siegers – das kann frustrieren. Doch er lenkt den Blick weg vom Moment des Sieges hin zur Anstrengung vor dem Sieg. Die Wettkämpfer seines Bildes werden als Sportler im Training gezeigt. Training heisst Verzicht, Schweiss und Anstrengung! Wer für einen Wettbewerb trainiert, der ordnet diesem Wettbewerb alles unter. Er verbringt seine Zeit auf der Laufbahn und im Kraftraum. Er tut es ohne die Gewissheit des Sieges. Ja, er muss damit rechnen, nicht Sieger zu sein!
Als Christinnen und Christen laufen auch wir ein Wettrennen. Nicht auf der Tartanbahn im Stadion oder der Marathonstrecke bei den Olympischen Spielen. Wir laufen unseren Wettbewerb auf der Strecke des Lebens. Unser Lauf ist unser Handeln in der Welt. Wir sollen so handeln, dass wir und die Welt vorwärtskommen.
Wir wissen oft, wie wir ideal handeln sollten. Wir wissen, was die Welt voranbringt – und doch gelingt es im konkreten Handeln nicht immer. Wir wissen, wie wir laufen sollten und brauchen doch immer wieder die Ermutigung und den Antrieb, wie auch der Sportler nicht für sich allein trainiert. Nicht weil er jemanden braucht, der ihm sagt und zeigt, wie es geht, sondern weil auch die beste Sportlerin immer wieder auf den Input von aussen angewiesen ist. Die Trainer bieten diesen Aussenblick. Sie sind das Gegenüber des Athleten. Sie schwitzen mit ihm gemeinsam im Trainingslager und auf der Finnenbahn.
Unser Trainingslager ist die Gemeinschaft in der Kirche. Unser Sportstudio ist der sonntägliche Gottesdienst. Wir trainieren damit unseren Glauben, wie der Sportler seine Muskeln trainiert. Wir üben für den Lauf, wie der Athlet für ihr Rennen. Wir tun es nicht für uns allein, sondern werden uns gegenseitig zu Trainern und Trainerinnen. Wir treten in Dialog miteinander und mit Gott.
Dabei ist unser Wettlauf des Lebens viel komplexer als jeder Sport. Die Regeln des guten Lebens sind nicht festgeschrieben. Sie müssen immer wieder neu gefunden werden. Es ist gar nicht einfach zu wissen, wann was zu tun ist – und wann was zu lassen ist. Wo eine Fussballmannschaft einen Coach braucht, der die Taktik festlegt und die Aufstellung bestimmt, da brauchen wir im Leben eine Richtschnur, die uns den Weg weist und uns voranbringt.
Das Training ist schwer und manchmal hart. Es bringt Verzicht und Entbehrung mit sich. Es bereitet auf den Wettlauf des Lebens vor. Süss schmeckt der Sieg und wunderbar ist der Ruhm des Sieges, selbst dann, wenn er vergänglich ist.
Doch der Sieg ist dem Läufer nicht sicher – im Sport gibt es immer mehr Verlierer als Sieger. Wie ist das im Lauf des Lebens? Kann ich den Lauf des Lebens verlieren?
Ja, ich kann – da muss ich ehrlich sein, auch wenn es hart ist – wir Menschen können im Leben scheitern. Wir können in die Irre gehen und uns verlieren. Den Siegeskranz können wir verpassen. Ja, wenn wir für uns allein rennen, verpassen wir ihn fast gewiss.
Doch den Lauf des Lebens muss keiner von uns für sich allein laufen. Wir laufen ihn als Gemeinschaft, die sich gegenseitig immer wieder neu motiviert. Wir laufen ihn aber auch mit einem anderen zusammen.
Jesus ist uns nicht nur den Weg vorangegangen. Er ist den Lauf des Lebens vor uns gerannt. Er ist ihn so gelaufen, dass er den Siegeskranz errungen hat. Er hat den Tod überwunden und die Tür geöffnet für das Fest des Lebens bei Gott.
Wo ich den Lauf des Lebens laufe, da laufe ich ihn nie allein. Jesus rennt mit mir. Er stellt sich mit mir den Schwierigkeiten des Lebens.
Als ich ein Schüler war, habe ich es nie zur Tössstaffette geschafft. Ich habe nicht einmal vom Sieg träumen dürfen. Ich war bloss Zuschauer und habe doch mit den anderen mittrainiert.
Beim Lauf des Lebens aber bin ich nicht Zuschauer, sondern Teilnehmer. Ich renne um den unvergänglichen Siegeskranz mit. Ich renne mit Jesus. Oder besser: Er rennt mit mir. Er gewinnt den Lauf. Er erringt den ewigen Siegespreis für mich, denn im Glauben rennt er in mir und ich in ihm. Wo Jesus Sieger ist, da bin ich es auch.
Amen