Das ist mein Gebot:
Dass ihr einander liebt, wie ich euch geliebt habe.
Joh 15,12
Liebe Gemeinde
„Ewigi Liäbi – das wünsche ich dir, ewigi Liäbi – das wünsche ich mir, ewigi Liäbi – nur für uns zwei, ewigi Liäbi – fühle mich bei dir daheim“, hat sich der Liedermacher der Band Mash im Jahr 2000 gewünscht. Ein Lied, das damals kaum Potenzial zu haben schien. Es reichte gerade aus, um das Album als letzter Song zu füllen.
Auch im Radio wurde es zunächst nicht gespielt. Doch dann begannen die Verliebten und Liebenden, die frischen Pärchen und die alten Ehepaare, die traditionellen und die modernen Paare, sich das Lied im Radio zu wünschen. Gegen alle Erwartungen wurde es plötzlich allgegenwärtig. Man hörte es sich zu zweit auf dem Bett an und mit Tausenden anderen auf der Wiese eines Open Airs. Es verfolgte einen im Aufzug und im Einkaufszentrum. Keine längere Autofahrt konnte man mehr unternehmen, ohne dass unzertrennliches Liebesglück aus den Lautsprechern gewünscht wurde.
Fast wäre es – zumindest mir – zu viel geworden. Fast war man versucht zu fragen: Wie geht es wohl den Menschen, die ihre grosse Liebe nicht gefunden haben? Wie geht es wohl denen, die sich getrennt haben, bei denen „säg nid für immer und säg nid niä, ich gibä alles für dich uf“ dann doch nicht gestimmt hat? Die sich als Verlierer fühlen, obwohl das Lied doch meint: „niemert seid es sigi liecht es isch es einzigs gäh und näh s’git kei verlürer oder gwünner i dem würfelspiel“? Was, wenn die unzerbrechliche Liebe doch zerbricht?
Es braucht nicht viel und der Song wird einem zu viel. Doch dann gibt es noch die Magie in diesem Song. Die Magie, die er nicht verliert, auch wenn er mit unserer wirklichen Liebe und unseren echten Beziehungen kollidiert. Es ist das Vertrauen, das er zum Ausdruck bringt; das Vertrauen, dass es sie doch noch gibt – die wahrhaftige, die pure und unschuldige Liebe.
Wer heiratet, vertraut auf diese Liebe. Das Paar weiss nicht, ob das, was sich zwischen ihnen an Beziehung, an Gebundenheit und Freiheit, an Blindheit und Klarheit entwickelt hat, diese wahrhaftige Liebe ist. Doch keiner heiratet, wenn er nicht zumindest hofft, dass die Kraft der ewigen Liebe ihn mit dem Partner verbindet.
Klar, dass sich Hochzeitspaare im ganzen Land dieses Lied wünschen. Nicht nur bei der Trauung auf dem Standesamt wird es gespielt. Auch in mancher kirchlichen Traufeier wünschen sich Braut und Bräutigam genau dies von Gott für ihre Ehe: ewige, unvergängliche und unzerbrechliche Liebe. Liebe, wie man sie sich nicht schöner hätte vorstellen können. Liebe, die zu Tränen, zu Freudentränen rührt.
Die Feier, die am Anfang des Ehelebens steht, ist voller grosser Gefühle und starker Emotionen. Die ganze Festgemeinde wünscht dem Paar alles Gute und viel Segen. Sie hoffen, dass sie das Gebot von Christus erfüllen. Sie wollen aus ganzem Herzen, dass diese beiden die ewige Liebe in ihrer Ehe zum Leben erwecken.
Ob es wirklich die ewige, die wahre Liebe ist, das weiss jedoch am Hochzeitstag weder das Brautpaar noch seine Gäste. Erst im Zusammenleben, oft erst am Ende ihres Lebens und im Rückblick, wird sich das erweisen. Erst im Abschiednehmen und Sterben wird sich zeigen, ob es die ewige Liebe war.
Das Ehepaar und ihre Beziehung sind auch ein Bild für Gott und sein Volk. Schon die Propheten im Alten Testament haben von Israel als der Braut und von Gott als dem Bräutigam gesprochen. Der Höchste hat um sein Volk geworben. Er hat sich ihm zugewendet und es reich beschenkt, um seine Liebe zu gewinnen. Immer wieder ist er ihm nachgegangen. Jedes Zeichen der Zuneigung seiner Menschen hat er als Zeichen von unvergänglicher Liebe genommen. Er hat seine Braut aufgenommen. Volk und Gott sind die Ehe eingegangen. Ewige Liebe sollte es werden. Treue von Generation zu Generation. Ein Gott und ein Volk.
Doch es ist anders gekommen. Wir alle kennen die Anklagen von Gott und die Klagen der Propheten im Alten Testament. Das Liebesglück zwischen Volk und Gott, die Beziehung von Braut und Bräutigam, ist alles andere als das, was wir uns – und wie es scheint auch die Propheten – vorgestellt haben. Der Bräutigam ist wiederholt von seiner untreuen Braut betrogen worden. Immer wieder hat er ihr vergeben und sie angenommen. Er ist ihr treu geblieben – doch sein Heil galt ihr nicht länger exklusiv.
In Jesus Christus ist er selbst zur Braut geworden. Gott, der Vater und Gott, der Sohn haben realisiert, was das Volk Gottes überfordert hat. Jesus, als Teil dieses Volkes, hat getan, was kein anderer tun konnte. In ihm und seinem Vertrauen auf den himmlischen Vater erfüllt sich die ewige Liebe. Vater und Sohn halten an ihr fest. Die Brücke des Vertrauens zerbricht auch im Tod nicht. Vielmehr zerschellt der ewige Tod am Felsen dieser Liebe. Einer Liebe, die mitten in der Finsternis der Welt leuchtet.
Wer von sich sagt, er habe Gott erkannt, der kann dies nur, weil ihm das Licht das Auge des Herzens erhellt hat. Wer erkennt, sieht die Wahrheit. Wer die Wahrheit erkennt, sieht die göttliche Liebe. Eine Liebe, die, wie es der 1. Johannesbrief will, den Menschen verwandelt. Die göttliche Liebe macht aus Fremden Freunde, ja Familie. Sie lässt Johannes seine Mitchristinnen und Mitchristen mit „meine Kinder“ und „ihr Lieben“ anreden. Sein ganzer Brief ist ein Liebesbrief, der um die Braut, um die Gemeinde kämpft. Ja, da steckt so viel Leidenschaft und gute Kraft dahinter – man könnte meinen, er schreibe auch uns.
Haltet euch fern von der Sünde! Verlasst das Gebot von Jesus nicht! Hört auf euer Herz – tut, was die Liebe euch vorgibt!
Auf das Herz hören – auf die Liebe.
Wer liebt, nimmt die Welt und seine Liebe ganz anders wahr als der nicht Liebende. Er unterstellt eine gute Absicht bei jedem Wort und jeder Tat des anderen. Er nimmt intensiver wahr und lebt unmittelbarer. Er gibt und vergibt grosszügig. Er schliesst ein und nicht aus. Er teilt Freude und teilt nicht aus. Er ist da, auch wenn er abwesend ist.
Ja, wer mit ganzem Herzen liebt, der wird im Gegenüber Gott selbst erblicken. Nicht sein Gesicht – aber in jedem Lächeln lächelt ihm Gott entgegen. Nicht seine Hände, aber jede Berührung rührt Gottes Seele an. Nicht seine Füsse, aber mit jeder Begegnung kommt er Gott ein Stück näher. Die Liebe ist ein Wunder. Sie ist eine Gabe Gottes. Sie ist Abglanz seines Lichts.
Der liebende Mensch, so sagt es einer der grossen Theologen der Scholastik, der mittelalterlichen Theologie: Der Liebende ist nicht fähig zur Sünde. Oder so schön, wie es der Augustinus gesagt hat: „dilige et quod vis fac“ – Liebe und tue, was du willst!
Die Liebe ist nicht fähig zur Sünde. Ja, nicht zu lieben ist Sünde. Denn sündigen bedeutet, die Beziehung zu Gott zu brechen – die Gottesbeziehung abzubrechen. Sünde heisst, Gott in der Gestalt des Nächsten nicht zu achten.
Doch gerade das zeigt, wie schwer diese Art von Liebe ist. Ja, sie ist uns Menschen vielleicht unmöglich. Die Liebe, von der ich heute in der Predigt gesprochen habe, ist viel mehr als die grossen Emotionen und die Freude der Hochzeit. Sie ist mehr als der romantische Moment, der ein Paar verbindet.
Die Liebe, die das Lied „Ewigi Liäbi“ besingt, ist letztlich ein Teil dieser viel grösseren göttlichen Liebe. Es ist die Liebe, mit der Gott uns liebt.
Nicht immer werden wir dieser Liebe gerecht. Nicht immer sind wir uns bewusst, dass Gott uns liebt. Nicht immer gelingt es uns, uns mit dieser Liebe zu lieben, mit der Christus uns liebt. Nicht immer gelingt es uns, an ihr festzuhalten.
Es gehört zu uns Menschen, dass wir uns von Nebensächlichkeiten ablenken lassen. Manchmal erscheint uns gross, was eigentlich klein ist. Hin und wieder gehen uns Arbeit und Erfolg vor, und wir vergessen dabei unsere Freunde, unsere Familie, unseren Partner – unsere Nächsten.
Dann fallen wir aus der Liebe – dann sündigen wir.
Wie gut, dass wir dabei aber nicht auf uns selbst gestellt sind. Wir haben einen Fürsprecher bei Gott, wie es der Johannesbrief erklärt. Denn auch wenn wir aus der Liebe fallen, so fällt einer doch nie daraus. Es ist Gott, der Sohn, der die Ehe erfüllt. Er erfüllt, was dem Volk Gottes aufgetragen ist. Weil er erfüllt, dürfen wir daran teilhaben. Darf die ganze Welt daran teilhaben. Weil seine Liebe ewig ist, muss unsere nicht sein. An seiner Liebe dürfen wir uns immer wieder neu aufrichten lassen.
Denn:
„Er ist die Sühne für unsere Sünden, aber nicht nur für unsere, sondern auch für die der ganzen Welt.“ Das ist wahre Liebe. Das ist göttliche Liebe. Seine Liebe zu uns
Amen