Zum Propheten für die Nationen habe ich dich bestimmt.
Jeremia 1,5b
Liebe Mitchristinnen und Mitchristen
Für uns Pfarrerinnen und Pfarrer ist die Sommerzeit die Zeit, in der wir vorausblicken. In der wir uns überlegen, was wir im kommenden Jahr mit den Konfirmandinnen und Konfirmanden, den engagierten Freiwilligen und den Seniorinnen und Senioren unternehmen wollen.
Sommerzeit ist Planungszeit. Anlässe für den Herbst und Winter werden vorbereitet. Der Frühling rückt ins Blickfeld. Seniorennachmittage, Frauennachmittage, Erwachsenenbildung, Andachten, Suppentag und vieles mehr wollen festgesetzt und abgesprochen werden.
Bei mir kommt im Planen Vorfreude auf. Freude auf die Begegnungen, die Anlässe und die Gäste.
Zugleich wird mir bewusst, wie viel in unserer Kirchgemeinde läuft. Wie viele Angebote wir den Menschen machen. Für jeden, so scheint es mir, müsste sich doch das Passende finden lassen. Dass diese Vielfalt möglich ist, dafür bin ich zutiefst dankbar. Eine Vielfalt, die nur möglich ist, weil sich viele mit ihren Gaben, mit ihren Talenten und mit ihrer Energie dafür einsetzen. In der Gemeinde, in der Region, im Kanton und in der Schweiz.
Die Kirche macht viel. Sie veranstaltet Konzerte, organisiert Filmvorführungen und Theater, lädt Referentinnen und Referenten zu Vorträgen ein und besucht als Gruppe spannende Orte. Sie tauft Babys und organisiert einen kirchlichen Bildungsweg, der Kinder und Jugendliche auf das Mitgliedsein vorbereitet und ihnen auch dann etwas auf den Lebensweg mitgibt, wenn sie sich zum Kirchenaustritt entscheiden. Die Kirche hilft und begleitet im Leben, sie hilft bei Schwierigkeiten und begleitet bei Lebensübergängen mit ihren alten Riten und dem Angebot, ganz eigene Rituale zu erfinden. Sie ist da für die Kranken und Schwachen. Sie begleitet bis zum Tod und die Hinterbliebenen darüber hinaus. Manchmal wird sie sogar zur Weggemeinschaft für diejenigen, die auf Gott vertrauen.
Die Kirche macht viel. Und mittlerweile ist sie sich auch nicht mehr zu schade, dazu zu stehen. Die Kirche verweist auf ihre Bedeutung als sozialer Akteur, wenn in der Politik der Ruf nach einer stärkeren Trennung von Kirche und Staat laut wird. Es sind die gleichen Argumente, mit denen wir versuchen, Menschen zu konfrontieren, die aus der Kirche austreten wollen. Menschen, die wir versuchen zu überzeugen, dass die Kirche ihre Kirchensteuern wert ist. Gründe, die keiner so einfach wegwischen kann und schon manchem zumindest ein „Trotzdem“ zu seinem Kirchenaustritt abgerungen haben.
Es ist wichtig, dass wir als Kirche gerade auch gegenüber dem religiös-neutralen Staat unseren Wert deutlich machen. Es ist richtig, dass wir dies in einer Sprache und mit Gedanken tun, die nicht religiös sind.
Aber es ist auch gefährlich. Es ist gefährlich, weil wir vor lauter Überzeugen den Kern unserer evangelischen Existenz vergessen. Weil wir mit der Berufung auf unseren sozialen Wert uns selbst der Gefahr aussetzen, zu einem Hilfswerk, zu einer sozialen Einrichtung von vielen zu werden. Dass wir über Know-how und Qualifikation sprechen und dabei das vergessen, was Not tut.
So frage ich heute Morgen: „Was tut Not?“ Was ist das Wesen der Kirche? Was ist unverzichtbar? Was bestimmt sie in ihrem Zentrum?
Seit der Reformation wird die Kirche als Schöpfung des Wortes Gottes bezeichnet. Ist sie das, so lassen sich aus der Bibel, dem Zeugnis vom göttlichen Wort, Hinweise finden. Schauen wir also auf unseren Evangeliumstext. Was sagt er im Blick auf unsere Kirche? Was tut Not, wenn wir diese Frage anhand der Aussendung der Apostel beantworten?
Jesus sendet seine Jünger aus. Zu zweit sollen sie gehen. Weder Geld noch Brot, auch keinen Rucksack mitnehmen. Ein Kleid, Sandalen an den Füßen und einen Wanderstab in der Hand. Das soll genügen. Wo man ihnen Gastfreundschaft entgegenbringt, da sollen sie bleiben, bis sie weiterziehen. Wo man sie nicht willkommen heißt, da sollen sie weiterziehen und sich den Staub von den Füßen klopfen.
Ihre Botschaft ist die Umkehr – Einladung! – zum Vertrauen auf Gott, das Zeichen ihrer Sendung ist die Vollmacht über die bösen Geister, das Siegel ihres Zeugnisses die Krankenheilung.
In diesen Versen wird in knappen Worten Anweisung gegeben. Die Jünger werden beauftragt und ausgesandt. Ihre Sendung ist an manchen Orten erfolgreich, so treiben sie Dämonen aus und heilen Kranke. An manchen Orten werden sie aber auch nicht aufgenommen, sonst macht die Anweisung, den Staub von den Füßen zu klopfen, keinen Sinn.
Der Auftrag macht aus dem Kreis der Jünger Apostel, bevollmächtigte Gesandte.
Doch schauen wir genauer hin.
Die Jünger werden ausgesandt. Sie werden in die Welt geschickt. Der Jüngerkreis um Jesus ist nicht Selbstzweck. Die zwölf Jünger, die den inneren Kreis der Anhänger Jesu bilden, werden nicht zu Satelliten, die um Christus als ihr Zentralgestirn kreisen. Vielmehr sollen sie hinaus in die Welt, dorthin, wo ihr Meister nicht ist. Die Welt mit ihren Sonnen- und Schattenseiten wird ihnen zugemutet.
Anders als beispielsweise der Kreis der Essener, der sich in die Wüste am Toten Meer zurückzog und dort von der Welt abgeschottet die Lebensgemeinschaft von Qumran bildete, wird den Jüngern gerade nicht der Rückzug von der Welt empfohlen. Sie pflegen nicht in der Einsamkeit der Wüste ihren spirituellen Weg. Es gibt bei ihnen kein Wachsen im Glauben, das nicht in der Zumutung der Welt passiert.
Jesus mutet aber nicht nur seinen Jüngern die Welt zu. Vielmehr mutet Gott der Welt seine Jünger zu. Als Kirche sind wir in die Welt gesandt. Als Christinnen und Christen leben wir in der Welt.
Doch die Jünger werden nicht allein gesandt. Jeder nimmt einen Partner mit. Jedem wird ein Weggefährte an die Seite gestellt. Der Gang aus dem Kreis der Jünger erfolgt im Team. Im Team muss einer nicht alles. Es ist ein anderer da, der weiterhilft, wenn einer den Weg nicht mehr sieht. Es ist einer da, der mitträgt, wenn die Kraft ausgeht. Es ist einer da, der in der Verzweiflung tröstet. Es ist einer da, der, auch wenn alles verloren scheint, das Verlorensein teilt. Wo zwei miteinander unterwegs sind, da ist keiner allein.
In der Zumutung der Welt sind wir nicht allein. Als Kirche sind wir Weggemeinschaft. Sind wir Lebensgemeinschaft. Lebensgemeinschaft, die sich ganz einfach ereignen kann. Die real wird, wenn wir einander fragen: „Wie geht es dir?“ „Wie geht es dir in der Arbeitslosigkeit?“ „Wie geht es dir mit der Sorge um dein krankes Kind?“ „Wie geht es nach dem Tod deines Mannes?“
Ganz praktisch gibt Jesus seinen Boten Anweisungen auf den Weg. Sie sollen mitnehmen, was sie brauchen. Den Wanderstab gegen die wilden Tiere. Die Sandalen an den Füßen, damit sie sich auf den glühend heißen Wegen nicht die Fußsohlen verbrennen. Sie sollen auf ihrem Gang in die Welt nicht leiden.
Schon gar nicht unter dem Zuviel, das sie versucht sein könnten, mitzunehmen. Kein Brot, kein Geld, um sich unterwegs etwas kaufen zu können, keine Kleider zum Wechseln oder um eine kalte Nacht im Freien zu verbringen.
Sie nehmen das mit, was sie brauchen, um in die nächste Stadt, das nächste Dorf zu kommen. Mit ihrer Ausrüstung kommen sie eine Tagesreise weit. Sie können nicht wählerisch sein. Kein Dorf darf ihnen zu klein für ihre Botschaft sein. Kein Haus zu einfach, zu ärmlich, als dass sie nicht darin die Botschaft verkünden könnten.
Als Christinnen und Christen müssen wir nicht in die entlegensten Gebiete am Amazonas fahren, um die frohe Botschaft einem Indiostamm zu bringen. Es reicht, wenn wir bis zur Tür unserer Nachbarn kommen.
Als Christinnen und Christen müssen wir nicht nach Rumänien reisen und uns um die Waisen in den Kinderheimen kümmern. Es reicht, wenn wir für ihre Situation offene Ohren haben und uns mit unseren Möglichkeiten für sie einsetzen.
Als Christinnen und Christen müssen wir keine langen, beschwerlichen Wege unter die Füße nehmen. Es reicht, wenn wir uns immer wieder auf den Weg zu unseren Nächsten machen.
Die Jünger kehren dort ein, wo sie willkommen geheißen werden. Sie verkündigen die Botschaft des nahegekommenen Reichs Gottes. Ihre Botschaft ist Zeugendienst. Zu zweit sind sie. Das übereinstimmende Zeugnis zweier Männer galt in der Antike. Es hatte Beweiskraft vor den Schranken eines Gerichts.
Die Botschaft aber ist keine komplizierte. Es ist der Ruf, sein Leben neu auszurichten. Letztlich der Ruf der Propheten im Alten Testament. Wer als Jünger in die Welt geschickt ist, ist Prophet. Doch Propheten sollen nicht überzeugen. Nicht das Streitgespräch ist ihr Mittel. Sie bezeugen die Botschaft, vielleicht unterstrichen durch ein Zeichen, durch ein zeichenhaftes Handeln, wie das Abschütteln des Staubes von den Füßen, nichts anderes sollen sie tun.
Das bedarf nicht viel Zeit. Ist die Zeit der Gastfreundschaft in einem Haus vorüber und ist es höflich für den Gast zu gehen, so sollen sie gehen. Nicht in ein anderes Haus, sondern in ein anderes Dorf. Für Diskussionen bleibt
keine Zeit. Die Botschaft des Evangeliums will nicht überzeugen – Im Zeugnis der Boten ereignet sich das Evangelium. Krankenheilung und Dämonenaustreibung sind Nebenwirkungen des Ereignisses Evangelium.
Als Kirche, ja als Christinnen und Christen sollte uns gerade dies zu denken geben. Das Evangelium überzeugt nicht. Es ereignet sich.
Überzeugen, das ist etwas, was wir Menschen tun können. Wir können einander durch gute Gründe überzeugen. Wir können uns über unsere Sichtweise der Welt austauschen, erklären, warum wir für oder gegen Organspenden, Abtreibung, Rüstungsgeschäfte, Bankgeheimnis oder Pauschalbesteuerung sind. Es ist schwierig, wenn nicht unmöglich, sich einem guten Argument zu entziehen, ohne sich selbst eingestehen zu müssen, dass das jetzt nicht gerade gescheit ist.
Doch für die Botschaft des Evangeliums gibt es keine guten Gründe. Ob es sich ereignet oder eben auch nicht, das liegt nicht bei uns. Der Geist Gottes weht, wo er will.
Wir sind nicht dafür verantwortlich, ob jemand zum Glauben kommt oder nicht. Einzig Gott weiß, einzig Gott vermag es. Das ist das Geheimnis des Glaubens.
Als Kirche tun wir viel Gutes. Das ist gut so. Es darf aber nie zum Grund für unser Dasein werden. Unsere Existenz gründet sich einzig auf dem Evangelium von Jesus Christus. Das heisst, auf der Freudenbotschaft des kommenden Reichs Gottes, das in der Kirche Ereignis werden kann. Es ereignet sich, wenn Gott es will.
Als Glieder dieser Kirche sind wir darum auch aufgerufen, Zeugen zu sein für die Botschaft. Das Evangelium zu verkünden, ohne überzeugen zu wollen. Wir sollen keine überzeugten Christen sein, aber Zeuginnen und Zeugen für Christus.
Amen