Jesus sagt: „Wenn ich jedoch durch den Geist Gottes die Dämonen austreibe, dann ist das Reich Gottes zu euch gelangt.“
Mt 12,28
Liebe Sonntagsschülerinnen und Sonntagsschüler
Liebe Gemeinde
Nackt kommt der Mann in der Geschichte, die wir hörten, auf Jesus zu. Splitterfasernackt, gänzlich ohne etwas verbergen zu können steht er vor ihm. Nackt, wie Gott ihn schuf, steht er da und doch nicht so, wie Gott ihn geschaffen hatte!
Es war damals wohl ein kleiner Skandal, dass er seit vielen Jahren ohne Kleider lebte. Er fiel auf. Seine Nacktheit zeigte allen: „Dieser Mann ist krank! Er ist Geisteskrank!“
Man sah von weitem, dass etwas mit ihm nicht stimmt; dass er nicht ganz normal ist, wie man sagt.
Am Anfang wollten ihm bestimmt alle helfen. Jeder, der konnte, packte mit an. „Es wird gewiss nicht so schwer sein!“, machten sie ihm und seiner Familie Mut. Seine Eltern, Brüder und Schwestern und gewiss auch seine Freunde versuchten alles, damit er rasch wieder genese. Sie brachten ihn zu Ärzten und zu Wunderheilern. Sie redeten mit ihm und setzten ihn auf Diät. Sie flössten ihm abscheuliche Tinkturen ein und hiessen ihn, sich in Heilquellen zu baden. Jedes Mittel versuchten sie. Doch je länger sich sein Zustand nicht besserte, desto mehr verloren sie die Zuversicht.
„Er hat einen bösen Geist!“, wurde endlich als Gerücht herum gereicht. „Ihm ist nicht mehr zu helfen!“ Die Menschen um ihn waren ratlos. So ratlos, dass sie versuchten ihn einzusperren und ihn mit Ketten und Fesseln zu bändigen. „Damit er sich und uns nichts tut!“, begründeten sie ihr Handeln.
Im Blick der anderen hörte er auf, ein Mensch zu sein. Wie ein Tier behandelten sie ihn. Wie ein Tier trug er keine Kleidung. Wie ein Tier lebte er in der Wildnis. Es gab keinen Platz mehr für ihn unter den Menschen in der Stadt.
Mir tut dieser Mensch leid. Es macht mich traurig, wie seine Familie und seine Freunde ihn in ihrer Hilflosigkeit behandelten. Ich würde es anders machen wollen. Doch spüre ich, ich hätte es ihnen in jener Zeit ähnlich getan.
Es gehört wohl mit zu uns allen, dass wir das, was nicht gesund ist; was nicht der Norm entspricht; was wüst und hässlich ist, vor der Welt zu verbergen suchen. Der biblische Bericht erzählt nicht nur von längst vergangenem. Er erzählt uns über uns und wer wir sind. Die Familie dieses bedauernswerten Mannes, das sind wir! Der Kranke mit seinen Dämonen, auch das sind wir! Was damals weit weg geschah, geschieht täglich in uns drin.
Wir schämen uns, wie sich die Freunde schämten. Unsere Schwächen und Fehler sind wie ihr kranker Freund. Wir versuchen sie zu verbergen, wie sie den Kranken versteckten. Wenn unser Versagen offenkundig wird, versuchen wir davon zu laufen, wie er in die Wildnis flüchtete oder wir werden angriffig und suchen die Schuld beim anderen, so dass man uns fürchtet, wie man jenen Mann fürchtete. Man flieht in Ausflüchte und Entschuldigungen.
„Meine Mutter hat vergessen mich zu wecken“, entschuldigt sich dann die Schülerin, „darum bin ich zu spät gekommen! Es ist ihre Schuld. Ich kann nichts dafür.“ „Der Hund hat meine Hausaufgaben gefressen! Er ist schuld. Ich kann doch nichts dafür“, erklärt sich ihr Mitschüler. Allein der Lehrer der beiden hat Glück. Er muss nicht zu geben, dass der Überraschungsaufsatz auch darum geschrieben wird, weil er vor lauter Fussball ganz vergessen hatte die Stunde vorzubereiten. Den wahren Grund behalten alle für sich.
Es ist unglaublich, wie viel Energie und Zeit wir Menschen investieren können, um nicht zu unseren Fehlern und unserer Sündhaftigkeit stehen zu müssen. Wir weichen aus. Wir verdrängen. Wir belügen einander so lange, bis wir selber unsere Lügen glauben und für die Wahrheit halten. Wir sind besessen von unserer eigenen Gerechtigkeit. So besessen, dass wir nicht mehr uns selber sind. Nicht mehr wir handeln, sondern die Bilder, die wir aufrechterhalten wollen.
Wie bloss und nackt wir dabei sind, merken wir nur selten. Dass auch wir, wie der Kranke in der Geschichte, in einer Wildnis leben, können wir nicht erkennen. Wir werden zum Kranken; zum Besessenen, wie er uns in der Geschichte begegnet.
Der Kranke begegnet Jesus. Oder fast besser: Jesus begegnet seiner Krankheit. Er spricht nicht ihn an. Er redet mit den bösen Geistern; den Dämonen, die ihn gepackt hatten. Christus spricht sie an, wie er unsere Lügen und unsere Selbsttäuschung anspricht.
Im Gespräch mit ihm fahren die Dämonen aus. Jesus weist ihnen einen neuen Platz zu. Er schickt sie nicht zur Hölle, aber lässt sie in eine Herde Schweine fahren. Die Dämonen sind nicht aus der Welt geschafft. Doch sie haben keine Macht mehr über den Kranken. Er ist geheilt.
Christus stellt seine Menschlichkeit wieder her. Befreit kehrt er zurück zu einem menschenwürdigen Leben. Er zeigt sich in der Stadt. Man erkennt ihn fast nicht wieder. Er trägt Kleidung. Er redet vernünftig. Er ist wieder der Alte. Er ist wieder der, den sie schon seit Kindertagen kannten.
Wenn Christus dem Menschen begegnet, darf der Mensch zurückfinden zu sich selbst. Wenn wir uns auf den Sohn Gottes einlassen, müssen wir nicht mehr an unseren Bildern festhalten. In dieser Begegnung müssen wir nicht super herüberkommen. In dieser Begegnung müssen wir uns nicht selbst zu Gerechten erklären. In dieser Begegnung müssen wir unsere Fehler nicht verstecken.
In der Begegnung mit ihm dürfen wir sein, wie wir sind, denn er macht uns zu denen, die wir sein sollen. Die Besessenheit unseres eigenen Gutseins ist in Jesus Christus gelöst. Wir erkennen uns selbst. Als nackte, bedürftige und hungrige.
Zugleich wird uns von Gott auch ein Mantel umgelegt. Er stillt unsere Bedürfnisse und unseren Hunger. Angezogen und mit verständigem Geist kehren wir zurück aus dieser Begegnung.
Die Bewohner der Stadt erkannten das Wunder, das geschehen war. Sie fürchteten sich. Sie baten Jesus weiterzuziehen. Sie wollten ihm und damit sich selbst nicht begegnen. Sie spürten, dass sich etwas Grosses ereignet hatte. Das Reich Gottes bricht in der Begegnung mit Jesus an.
Das wollten sie nicht. Sie blieben lieber im Bekannten. Sie wollten nicht aufbrechen. Sie wollten nicht, wie der Besessene sein, der geheilt wurde. Sie hatten Angst vor dem Neuen. Sie fürchteten sich vor dem Reich Gottes.
Wie geht es uns an ihrer Stelle? Sind wir bereit uns auf diese Begegnung einzulassen? Sind wir bereit uns unseren Dämonen zu stellen? Sind wir bereit für das Reich Gottes?
Amen