Es ist, wie es ist!“

Liegt nicht das ganze Land vor dir?
Es ist besser, wenn wir uns trennen.
Wenn du nach links willst, gehe ich nach rechts.
Willst du aber nach rechts, dann gehe ich nach links.
Gen 13,9

Von Gott geliebte Mitmenschen

Es ist, wie es ist! Lot und Abraham sind gemeinsam aus Ägypten ausgezogen. Als Halbnomaden leben sie mit und von ihren Herden in Kanaan. Kanaan liegt dort, wo heute etwa Israel und der westliche Teil Syriens sind. Lot und Abraham sind Neffe und Onkel, wie es in der Genealogie am Ende der Erzählung vom Turmbau zu Babel berichtet wird. Dass sie jetzt aus Ägypten zurückkehren, hat damit zu tun, dass es zuvor eine große Hungersnot gab. Wahrscheinlich hat es zu wenig geregnet, und die Ernte auf den Feldern ist vertrocknet. Die Halbnomaden, die vom Handel lebten, konnten sich die Kornpreise in Kanaan nicht mehr leisten. So sind sie nach Ägypten ausgewandert, wo die Kornpreise dank des Nils und der künstlichen Bewässerung stabil waren.

Damals war das ein normaler Vorgang, der archäologisch und historisch gut belegt ist. Auch die Bibel erzählt mehrfach von dieser Bewegung. Am bekanntesten ist vielleicht die Geschichte von Joseph und seinen Brüdern. Aufgrund einer Hungersnot treffen die Brüder wieder auf Joseph, und die ganze Familie wandert ins Pharaonenreich am Nil.

Katastrophen und Krisen, so hörten wir es im Bettagsmandat des Kirchenrats, prägen auch unsere Zeit. Und so sei es, so sagt der Kirchenrat, nur folgerichtig, dass diese aktuellen Herausforderungen im Zentrum der Gebete des Bettags stehen.

Zugleich hören wir aber auch, dass das Beten am Bettag in einer Zeit, in der die Konfessionslosen zum ersten Mal die größte Gruppe bilden, problematisch ist. Der Bettag als bloßes Mahnmal für die Verantwortung, die wir tragen. Ein Bettag ohne Gott – ohne den Gedanken, dass bei all unserer menschlichen Macht und all unserem Können doch eine Kraft über uns steht, die größer ist? Ein Bettag ohne Reue für unser allzu menschliches Versagen, die Verantwortung zu tragen und wahrzunehmen? Aber auch ohne die Möglichkeit, durch Dankbarkeit vor dieser Allmacht Vergebung und Freispruch zu erfahren.

Stattdessen sollen wir uns konfessions- und religionsübergreifend – ja, sogar gemeinsam mit den Konfessionslosen – unpolitisch fragen, was die Schweiz im Innersten zusammenhält. Gewissermaßen einen gottlosen Gottesdienst feiern, damit alle dabei sein können und niemanden etwas verletzt. Aber auch so, dass wir nicht miteinander wachsen können. Dass wir eine Gesellschaft ohne Eigenschaften werden – grenzenlos in unserem Verzicht, Grenzen zu ziehen. Unfähig, Konflikte zu benennen und auszuhalten, geschweige denn, sie zu lösen.

Ihr merkt, das Bettagsmandat, das nichts Falsches sagen will, sagt mir nichts. Es bleibt unkonkret, wenn es nur noch um Werte geht, ohne diese zu spezifizieren oder ihre Einhaltung einzufordern. Es ist, wie es ist!

«Wenn du nach links gehst, gehe ich nach rechts», schlägt Abraham Lot vor. Ihre Herden sind so groß geworden, dass das Land ihnen nicht mehr genug Nahrung und Platz bietet. Dies hat zu Streit unter den Hirten geführt. Der Konflikt zwischen ihren Herden ist groß geworden.

Abraham und Lot nehmen diesen Konflikt und die Trennung wahr, ohne ihn zu bewerten. Keiner sagt: «Das darf nicht sein!» Keiner von beiden versucht, zusammenzuhalten, was zu groß geworden ist, um zusammenzubleiben. Keiner fragt nach den Ursachen, und es werden keine Schuldzuweisungen gemacht. «Es ist, wie es ist», scheinen sich diese beiden Männer zu sagen.

Anstatt viel Energie und Zeit in eine Lösung zu investieren, die allen gerecht werden soll, akzeptieren sie den Konflikt und die Kraft, die sie auseinandertreibt. Es ist, wie es ist.

Es ist, wie es ist. Ich denke, dass Abraham und Lot eine Lösung vorleben, die in unserer Zeit quer steht. Sie suchen gar nicht erst nach einer Optimierung und verlieren sich nicht in der Suche nach einer Win-Win-Lösung. Sie müssen den Konflikt weder zur Katastrophe erklären noch ihn in eine Herausforderung umdeuten, an der sie wachsen könnten. Sie nehmen die Situation an, wie sie ist.

Es ist, wie es ist – wie gern würde auch ich mich in dieser Haltung wiederfinden. Ich müsste nicht ständig bewerten, ob etwas gut oder schlecht ist – es dürfte einfach sein, wie es ist. Auch die Trennung könnte ich als Lösung und nicht als Katastrophe sehen.

Es ist, wie es ist – das klingt so einfach. Und doch fällt es mir ungemein schwer, es zu leben. Etwas treibt mich an, jede Situation verbessern zu wollen, und ich empfinde es als Scheitern, wenn das nicht gelingt. Irgendetwas in mir will, dass zumindest ein kleiner Schritt zur Verbesserung möglich ist.

Und das ist auch gut so. «Es ist, wie es ist» bedeutet ja nicht, dass einem das andere gleichgültig sein muss.

Abraham und Lot trennen sich. Wo der eine nach links geht, geht der andere nach rechts. Lot lässt sich mit seiner Familie und seinem Besitz in Sodom nieder.

Dann kommt es zum Krieg. Sodom wird angegriffen. Lot gerät in Gefangenschaft und verliert seinen Besitz. Was macht Abraham? Er greift ein und befreit Lot mit einem Heer. Lot erhält seinen Besitz zurück.

Es ist, wie es ist – heißt nicht, dass es egal ist. Es bedeutet, einander in der Not beizustehen. Selbst dann, wenn eine Gesellschaft, eine Familie oder ein Paar getrennte Wege gehen. Die Situation zu akzeptieren heißt nicht, dass einem das Schicksal des anderen gleichgültig ist.

Als Christinnen und Christen dürfen und sollen wir akzeptieren, dass eine große Gruppe mit unserem Glauben längst nichts mehr anfangen kann. Es geht nicht darum, andere zu bekehren oder den eigenen Glauben zu verleugnen oder so anzupassen, dass er für andere passend ist.

Es ist, wie es ist – bedeutet, zu seinem Glauben stehen zu dürfen, auch dort, wo er nicht mehr verstanden wird. Es heißt, den anderen in seinem Nicht-Glauben anzunehmen und ihn darin zu akzeptieren.

Es ist, wie es ist – soll aber auch bedeuten, dass wir als Gesellschaft in den Herausforderungen und Nöten des Lebens wieder zueinanderfinden müssen. Dass wir einander beistehen, wenn innere und äußere Bedrohungen auf uns zukommen. Nicht fragend, was uns trennt, sondern uns an den gemeinsamen Ursprung erinnernd.

Es ist, wie es ist! Es eröffnet einen Weg in die Zukunft. Es nimmt die Gegebenheiten an, ohne sie als gut oder schlecht, als Fortschritt oder Rückschritt, als links oder rechts zu bewerten. Es nimmt die Situation an, wie sie ist, und handelt daraus.

Lot kehrt nach Sodom zurück. Abraham bittet Gott für Sodom. Doch Lot und seine Familie sind die einzigen Gerechten in der Stadt. Gott lässt sie fliehen, während Sodom und Gomorra zerstört werden. Es ist, wie es ist – doch sie dürfen nicht zurückblicken. Sonst verbauen sie sich den Weg in die Zukunft und erstarren zu Salzsäulen.

Es ist, wie es ist. Weder als Gesellschaft noch als Kirche sollten wir zurückschauen und meinen, dass früher alles besser war. Es war nicht besser – es war anders.

Gerade als kleinere, alternde und ärmer werdende Kirche dürfen wir im Rückblick auf die «guten alten Zeiten» nicht zur Salzsäule erstarren. Es ist, wie es ist – wir können die Vergangenheit nicht wieder zur Gegenwart machen. Aber wir können uns, indem wir am Vergangenen festhalten, das Morgen verbauen.

Es gilt heute, das anzunehmen, was ist. Links zu gehen, wenn die Gesellschaft nach rechts geht. Zu verzichten, wo die Gesellschaft mehr will. Mehr zu wollen, wo sich die Gesellschaft mit weniger zufrieden gibt. Zu fordern, wo die Gesellschaft fördert, und zu fördern, wo die Gesellschaft fordert.

Es ist, wie es ist. Und dabei darauf zu vertrauen, dass derjenige, der ist, wie er ist, mit uns ist, so wie er mit Abraham gewesen ist. In allem Wandel und aller Veränderung ist der, der ist, wie er ist, der Urgrund unseres Vertrauens. In ihm dürfen wir feiern und Gemeinschaft haben, wie es schon Abraham und seine Familie hatten. Mit ihm dürfen wir unser Brot brechen und den Kelch teilen.

Es ist, wie es ist. In Gott ist es gut.
Amen

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