Beten ist wie Liebesbriefe schreiben

In gleicher Weise aber nimmt sich der Geist unserer Schwachheit an; denn wir wissen nicht, was wir eigentlich beten sollen; der Geist selber jedoch tritt für uns ein mit wortlosen Seufzern. Er aber, der die Herzen erforscht, er weiss, was das Sinnen des Geistes ist, weil er dem Willen Gottes gemäss für die Heiligen eintritt.
Röm 8,26f.

Von Gott geliebte Gemeinschaft

Wann hast du zuletzt einen richtigen Brief erhalten? Ich meine jetzt keinen Werbebrief oder eine Rechnung. Auch keinen Brief von der Bank oder Versicherung, sondern einen persönlich für dich geschriebenen Brief. Am besten von Hand und in schöner Schrift?

Und wann hast du zuletzt selbst zu Bleistift, Kugelschreiber, Füller oder sogar einer Feder gegriffen?

Ich muss gestehen, bei mir ist es schon eine ganze Weile her, dass ich einen klassischen Brief geschrieben habe. Meine Frau war damals gerade auf einer Grabung, und wir haben uns einige Wochen lang nicht gesehen. Natürlich haben wir so oft wie möglich miteinander telefoniert und, wo das nicht möglich war, natürlich SMS und WhatsApp geschickt.

Doch nicht alles lässt sich in die 160 Zeichen einer SMS packen. Auch in einer WhatsApp-Nachricht oder am Telefon kann man nicht alles sagen. Die wirklich wichtigen Dinge müssen von Angesicht zu Angesicht gesagt werden können, und wo das nicht möglich ist, zumindest in einem richtigen handschriftlichen Brief.

Also habe ich ihr einen Liebesbrief geschrieben. Es war eine romantische Geste.

Und zugleich eine echte Herausforderung! Ich wusste gar nicht mehr, wie schwer es ist, solch einen intimen Brief zu schreiben. Lange sass ich vor dem praktisch leeren Blatt – nur Ort und Datum standen in der rechten oberen Ecke. Je länger ich darauf starrte, desto unsicherer wurde ich. „Braucht ein Liebesbrief einen Ort und ein Datum?“, fragte ich mich.

Dabei hätte ich jetzt eine gute Anrede finden sollen! „Liebe Schatz“ kam mir zu gewöhnlich vor. „Liebste Natalie“ wirkte gekünstelt. „Meine Seele, mein Ein und Alles“ war übertrieben und doch richtig. Aber würde sie es verstehen?

Ich habe gerungen. Mit Worten und Formulierungen. Mir ist alles Mögliche eingefallen – sogar viel zu viel. Vor lauter Dingen, die ich sagen wollte, gelang es mir kaum, einen Anfang zu finden. Mein Herz floss über – aber leider flossen die Gedanken nicht in die Feder in meiner Hand…

Manchmal geht es mir beim Beten ganz ähnlich. Mein Herz ist voll, aber mir fehlen die Worte. Ich weiss nicht, was ich beten soll. Ich will nicht plappern, wie es in der Lesung hiess – aber auch im stillen Kämmerlein fliessen die Gedanken nicht von allein.

Und ja, manchmal erlebe auch ich sehr traurige Situationen. Sie treffen mich. Und die Verzweiflung ist wie ein Loch, in dem das Herz sich leert. Da fehlen die Worte. Nicht aus Überfluss, sondern tatsächlich aus Mangel. Ich sollte – ich will beten, doch weiss ich nicht wofür.

Beides gehört zum Gebet. Beide Situationen kennt auch die Gemeinde in Rom, an die Paulus schreibt. Aber das Schweigen, ob aus leerem oder übervollem Herzen, hat nicht das letzte Wort. Als Christinnen und Christen sollen und dürfen wir beten. Doch was ist das: Ein Gebet?

Mir scheint das Bild vom Brief, ja, vom Liebesbrief, wunderbar zum Beten zu passen! Denn im Gebet darf der Mensch sein Herz vor Gott ausschütten!

Das Verhältnis von Gott und Mensch ist eine Liebesbeziehung. Gott liebt dich. Du darfst seine Liebe erwidern.

Wie die Beziehung zu meiner Frau der Grund war, dass ich ihr einen Liebesbrief geschrieben habe, so ist die Beziehung zu Gott, die Voraussetzung für unser Gebet.

Zu einem Gott, den ich nicht kenne, kann ich nicht beten. Klar, man kann nach aussen hin so tun, als ob, aber das wäre blosses Nachplappern von Formeln ohne Inhalt. Es wären fromme Worte, die nichts bedeuten. Es wäre Klang ohne Melodie.

Dabei braucht es gar nicht viel, um die Beziehung zu Gott zu leben. Vielleicht genügt schon der Gedanke, dass es da etwas gibt, das mehr ist als das, was man sieht. Vielleicht braucht es nicht mehr, als das, was man als spirituelle Kraft spürt, als „Du“ anzusprechen.

Beziehungen – gerade Liebesbeziehungen – können etwas unglaublich Leichtes an sich haben. Es ist, als würde man einander schon ewig kennen. Die Gedanken fliegen einem ohne Worte zu. In Gegenwart des anderen vergeht die Zeit wie im Flug und steht zugleich still. Eine Sekunde wird zur Ewigkeit. Die Ewigkeit wird zu einem Moment in der Gegenwart.

Die Liebe raubt einem alle Kraft und lässt einen in den Armen des anderen versinken. Man empfängt in der Umarmung neue Kraft und wird stärker, als man je zuvor war. Die Liebe ist ein Wunder. Erst recht, wenn es sich um die Begegnung mit Gott handelt!

Sie ist Leidenschaft und schafft Leiden. Gerade in diesen Momenten, in denen man dem anderen in einem Brief die tiefsten Gefühle offenbaren möchte. Das Herz läuft über, und doch fehlen plötzlich die Worte.

„Denn wir wissen nicht, worum wir eigentlich beten sollen“, und so ist es die Liebe, die stark und schwach zugleich ist.

Ich habe lange über den Brief für meine Frau gebrütet. Ich habe passende Worte für meine Gedanken gesucht und schliesslich gefunden. Ich habe Sätze formuliert und sie wieder verworfen. Am Ende war ein Brief entstanden.

Ich habe ihn abgeschickt. Sie hat ihn bekommen. Sie hat sich unglaublich gefreut, hat sie mir nach ihrer Rückkehr erzählt. Ja, der Brief hat sie zu Tränen gerührt.

Es waren nicht die Worte allein, auch nicht die gelungenen oder weniger gelungenen Bilder, die sie berührt haben. Was sie wirklich berührte, war der Brief selbst. Bedeutsam war, dass ich an sie gedacht habe und ihr einen Brief geschrieben habe. Die genauen Worte, die Formulierungen und was ich genau geschrieben habe, waren zweitrangig. Es zählte der Brief.

Genauso ist es mit unseren Gebeten. Nicht die Worte sind entscheidend. Es kommt nicht darauf an, ob wir exakt ausdrücken, wofür wir beten oder wofür wir genau dankbar sind. Es zählt nicht, was wir nennen und was wir vergessen. Was zählt, ist, dass wir es ehrlich meinen.

Ein Gebet entspringt dem Herzen, weil es nichts vortäuscht, sich nicht verstellt, sondern ehrlich ist. Es muss nicht perfekt sein, wenn es von Herzen kommt.

Ja, ein Gebet darf in aller Schwachheit gesprochen werden. Es kann ein Gebet von jemandem sein, der nicht weiss, was er eigentlich beten soll, der aber spürt, dass er beten muss. Der seine Gefühle, seinen Dank, seine Sorgen und seine Hoffnungen nicht länger für sich behalten kann, sondern sie vor Gott tragen will.

Ja, manchmal kann das Gebet auch nur ein wortloses Seufzen sein. Ein Liebesbrief ganz ohne Worte.

Denn wenn Menschen sich von ganzem Herzen lieben, wissen sie instinktiv, was dem anderen guttut, was der andere braucht. Liebende stehen einander bei und sorgen füreinander, selbst wenn der andere nicht genau weiss, was er braucht – allein die Anwesenheit des anderen gibt Kraft.

Wenn wir Menschen in unserer schwachen Liebe schon so viel voneinander wissen und es uns trotz all unserer menschlichen Unzulänglichkeiten immer wieder gelingt, für den anderen da zu sein, wie viel mehr dann erst Gott!

Gott, der uns alle mit unendlicher Liebe annimmt, kennt jeden von uns. Er weiss, was wir im Herzen tragen. Er kennt uns besser, als wir uns selbst kennen. Ja, er sieht unser Licht, selbst wenn unser Herz dunkel ist.

Er weiss, was wir brauchen – auch wenn es manchmal etwas anderes ist, als das, was wir zu wollen glauben. Er schenkt uns, was wir brauchen. Oft nicht im Voraus, sondern zur rechten Zeit. Manchmal müssen wir auch auf eine Antwort warten, vielleicht sogar länger als bei einem Liebesbrief.

Ja, damals musste ich auf die Reaktion meiner Frau warten. Sie erhielt meinen Liebesbrief während einer Ausgrabung. Sie wollte nicht per SMS, WhatsApp oder Telefon antworten. Stattdessen besorgte sie sich Papier und Schreibzeug. Gar nicht so einfach während einer Ausgrabung!

So dauerte es ein paar Tage, ja mehr als eine Woche, bis ich ihre Antwort erhielt. Die Zeit des Wartens kam mir wie eine Ewigkeit vor!

Aber auch das gehört zum Gebet. Das Warten. Das Stillwerden. Gebet ist ein Austausch und keine Einbahnstrasse. Gott antwortet, aber wir hören seine Antwort oft nur, wenn wir genau hinhören. Wenn wir bereit sind, auf eine Antwort zu warten. Wenn wir dranbleiben und nicht vorzeitig aufgeben und glauben, dass keine Antwort kommt.

Ja, Beten und Briefe schreiben haben für mich viel miteinander zu tun. Ich habe schon lange keinen Brief mehr geschrieben. Doch bete ich jeden Tag. Die Beziehung zu Gott gibt meinem Leben einen guten Grund.

Und wie ist es bei dir?
Amen

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