Grenzenlose Vergebung

Da wandte sich Petrus an Jesus und fragte ihn:
»Herr, wenn mein Bruder oder meine Schwester mir Unrecht tut, wie oft soll ich ihnen vergeben? Bis zu siebenmal?«
Jesus antwortete: »Nicht nur siebenmal! Ich sage dir: Bis zu siebenundsiebzigmal!«
Mt 18,21f.

Von Gott geliebte Gemeinschaft

Hast du jemals an der Kasse bei Migros oder Coop gestanden und plötzlich gemerkt – Oh nein, meine Geldbörse liegt noch zuhause auf dem Küchentisch? Oder du hast sie zwar dabei, aber möchtest mit Karte zahlen, und dann fällt dir nicht mehr ein, wie der PIN-Code lautet? Normalerweise könntest du ihn im Schlaf, aber jetzt? Keine einzige Zahl will dir einfallen, oder du bringst sie einfach nicht in die richtige Reihenfolge…

Mir ist das auch schon passiert, und es war ziemlich peinlich!

Wie einfach war es doch in meiner Kindheit. Ich hatte vielleicht nicht immer genug Geld, aber wenn ich mit meinen 5 Franken Taschengeld am Kiosk war und mir nicht alles kaufen konnte, was mein Herz begehrte – oder zumindest mein Gaumen -, dann war das anders.

Ich erinnere mich noch gut an diesen Sommer, als ich von der ersten in die zweite Klasse kam. Damals kam der Migros-Laden noch in einem Bus ins Viertel. Ich durfte meine Mutter begleiten und hatte mein Taschengeld dabei. Es war heiß. Natürlich wollte ich ein Eis! Aber auch mein Lieblingscomic, das Ypse-Heft, das ich nie verpasste, war gerade neu erschienen. Das Eis kostete 1.95 Franken, der Comic 3.50 Franken.

Eis oder Comic? Was sollte ich tun?

Zwei Wünsche, aber nicht genug Geld, um sie beide zu erfüllen. Das war ein Dilemma!

Ich drehte mich zu meiner Mutter um, setzte meinen bettelndsten Blick auf und bat sie mit Engelszungen um einen Vorschuss auf mein nächstes Taschengeld.

Es hat nicht immer funktioniert, aber ab und zu hat sie sich erweichen lassen. So auch an diesem heißen Sommertag. Ich konnte alle meine Wünsche erfüllen, aber ich schuldete meiner Mutter einen Vorschuss.

In diesem Moment war das in Ordnung. Aber die Zeit kam, als die Schuld von mir zurückverlangt wurde.

Einige Schulden können zurückgezahlt werden. Sie wachsen nie über die Möglichkeiten des Schuldners hinaus. Aber manchmal nimmt jemand zu viele Schulden auf sich. Er kann nicht mehr bezahlen.

Gerade wenn es um Schulden geht, die nicht in Geld gemessen werden können, passiert das schnell. Man lebt auf Kosten eines anderen und wird schuldig.

Wo Schulden sind, müssen sie eines Tages beglichen werden. Wenn sie nicht zurückgezahlt werden können, entsteht großes Leid.

Im Alten Testament war das sehr klar. Wenn jemand seine Schulden nicht bezahlen konnte, wurde er zum Sklaven des anderen. Die ungesühnte Schuld kostete ihm und oft auch seiner ganzen Familie die Freiheit.

Es ist nicht gut, dass der Mensch seine Freiheit verliert, sagte Gott schon im Alten Testament. So wie es sieben Tage in der Woche gibt und der siebte Tag Gott gehört, sollte auch jedes siebte Jahr Gott gehören, beschlossen die Menschen. Jedes siebte Jahr sollte ein Sabbatjahr sein!

Im Sabbatjahr wurden Schulden erlassen. Wer wegen seiner Schulden zum Sklaven geworden war, wurde wieder frei. Die Vergebung von Schulden brachte Freiheit!

Petrus wusste das. Und er bemerkte, dass bei diesem Jesus alles noch ein Stück größer war. Er fragte nicht, ob es gut wäre, seinem Bruder oder seiner Schwester alle sieben Jahre oder sieben Tage zu vergeben. Nein, das reichte nicht. Das wusste er.

Aber: Was ist, wenn ich jeden Tag der Woche vergebe? Was ist, wenn ich jeden Tag zu einem Gottes Tag erkläre? So kam er zu Jesus:

‚Herr, wie oft kann mein Bruder mich beleidigen, und ich muss ihm vergeben? Bis zu siebenmal?‘

Jesus antwortete ihm: ‚Nein, nein, Petrus. Du irrst dich. Das reicht nicht! Ich sage dir, nicht bis zu siebenmal, sondern bis zu siebenundsiebzigmal.‘

Petrus dachte radikal, aber Jesus antwortete noch radikaler.

Wir sollen nicht sieben Mal vergeben. Wir sollen uns nicht an die göttliche Zahl sieben halten. Unsere Vergebung sollte keine Grenzen kennen!

77 Mal sollen wir denen vergeben, die uns Unrecht getan haben. Jesus sagte es klar und deutlich: ‚Vergebt!‘. Vergebt eurem Bruder. Vergebt eurer Schwester. Vergebt eurer Mutter. Vergebt eurem Sohn. Vergebt eurem Nächsten und eurem Fernsten. Vergebt eurem Freund und – sogar eurem Feind!

Vergebt von Herzen, denn jeder ist eurer Vergebung würdig! Ihr habt nicht das Recht, auch nur den Geringsten von eurer Vergebung auszuschließen.

Was für ein radikales Wort, das uns heute Morgen erreicht!

Hören wir es? Hören wir es nicht nur mit unseren Ohren, sondern in unseren Herzen? Berührt es unsere Seele? Wenn ein Mensch dieses Wort hört, kann er nicht untätig bleiben. Es ist kein Wort für den Sonntag und kein gewöhnliches Wort. Im wahrsten Sinne des Wortes ist die Vergebung nicht von dieser Welt. Es ist ein himmlisches Wort, das alle menschlichen Vorstellungen, auch die religiösen, übersteigt!

Das Fünffrankenstück des Wortes von Jesus, das uns gegeben ist, ist eine wertvolle Währung. Es sprengt die Grenzen des Schuldenmachens und Rückzahlens. Es beseitigt jede Einschränkung in Bezug auf die Forderung nach Vergebung.

Vergebt einander. Erlasst einander die Schuld, die den anderen niederdrückt! Nicht nur kleine Vergehen, sondern auch riesige! Vergebt das Unverzeihliche. Vergebt einander alles! Das steht auf dieser Münze.

Absolute Vergebung! Das überfordert uns! Es gibt Dinge, die man nicht vergeben kann! Nicht einmal, wenn Gott es verlangt – unsere Vergebung hat ihre Grenzen.

Aber doch: Es ist ein Wort und eine Forderung von Gott: Vergib!

Diese Münze ist zu schwer für uns. So schwer, dass sie uns in die tiefste Gottferne und die dunkelste Höhle der Schuld ziehen müsste.

Aber diese Münze hat eine Rückseite. Tatsächlich mehrere Rückseiten. So sehr wir mit der Forderung zu vergeben überfordert sind, gibt es jemanden, der uns bereits vergeben hat.

Jesus, der uns diese schwere Münze der Vergebungsforderung in die Hand drückt, ist der, der uns vergibt. Er bezahlt für uns, damit wir aus der Knechtschaft der Unfähigkeit zur Versöhnung befreit werden.

Der, der uns befiehlt zu vergeben, hat uns bereits vergeben. Er hat uns unsere Unversöhnlichkeit und Härte vergeben.

Wir müssen unsere Vergebung nicht aus eigener Kraft geben, sie wurde uns gegeben. Er hat uns vergeben, deshalb dürfen wir vergeben! Wir müssen nicht – wir dürfen! Kein Zwang, sondern Freiheit. Vielleicht zu hoch, um es zu begreifen…

Er hat uns vergeben, darum sind wir befreit aus der Knechtschaft der Schuld!
Amen

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