Aller Anfang ist theologisch

Heute veröffentliche ich an dieser Stelle eine Predigt aus der Zeit meines Theologiestudiums. Man merkt ihr den akademischen Habitus an – zum Glück bin ich heute einen Schritt weiter…

„Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein?“
Röm 8,31b

Liebe Gemeinde

„Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein?“ (Röm 8,31b) Vor diese Frage stellt uns der Römerbrief. Was will Paulus mit dieser Frage bezwecken? Ist es nur eine rhetorische Frage? Oder gibt es doch Menschen und Mächte die „wieder uns“ sind? War nicht gerade Paulus vor seiner Bekehrung einer dieser Menschen, die gegen die Gemeinde waren?

„Ich bin Jesus, den du verfolgst.“ (Apg 9,5b). Auf diese Weise bricht die Realität Gottes in das Leben von Paulus ein. In dieser Ansprache wird Paulus selbst vor die Frage gestellt: „Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein?“ (Röm 8,31b) Sein ganzes Leben wird im Angesicht dieser Frage auf den Kopf gestellt.

Nicht länger muss er sich vor Gott beweisen. Er muss nicht mehr um seine eigene Gerechtigkeit kämpfen. Gott ist mit ihm, wer kann wider ihn sein?

„Gott ist mit mir“, bedeute nun aber nicht, dass meine Leben frei ist von Anfechtung und Gefahr. Viel mehr lernte Paulus auf seinen Missionsreisen am eigenen Leib, was es heisst Entbehrung und Verfolgung, ja Lebensgefahr zu erleiden.

Wenn er also im Römerbrief fragen wird: „Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein?“ (Röm 8,31b), so ist das mehr als eine rhetorisch-theologische Frage. In dieser Frage kommt die ganze Lebenserfahrung von Paulus und sein Erleben des von Gott getragen seins, gerade auch in den Grenzerfahrungen menschlicher Existenz, zum Ausdruck.

Diese Lebenserfahrung reflektiert er in theologischer Weise im Römerbrief. Zweck des Briefes ist es, dass sich Paulus in der römischen Gemeinde vorstellen will und nun in einem Brief versucht darzustellen wer er ist und was er glaubt. Deshalb ist der Römerbrief nicht nur Selbstempfehlung an die Gemeinde, sondern auch eine Darstellung seiner bisherigen Theologie.

Damit wir eine bessere Vorstellung vom heutigen Predigtext bekommen, lohnt es sich den Aufbau des Römerbriefes kurz darzustellen.

Der Römerbrief kann Grundsätzlich in zwei Teilen gesehen werden. Im Zweiten Teil, ab Kapitel 12 schreibt Paulus vornehmlich über ethische Fragen.

Der erste Teil, in dem auch der Predigtext steht, handelt von der Gerechtigkeit Gottes und ist seinerseits zweigeteilt. Unser Predigtabschnitt bildet das Ende des ersten Stückes über die Rechtfertigung allein aus Glauben.

Nach dem Paulus die Notwendigkeit der Rechtfertigung des Menschen durch Gott bedacht hat und sich darüber Klarheit verschafft hatte, wie diese Rechtfertigung von Gott im Menschen verwirklicht wird, wendet er sich der Wirklichkeit dieser Rechtfertigung des Menschen durch Gott zu. Er fragt sich:

„Wie sieht das neue Leben befreit von der Sünde und vor Gott gerechtfertigt allein aus Glaube aus?“

Er kommt schliesslich zum Schluss, das dieses neue Leben eine ständige Herausforderung ist. Diese kann nicht vom Menschen alleine bewältigt werden. Der Mensch ist auf Gott angewiesen. Doch Gott ist ein gnädiger Gott und er lässt uns nicht allein in der Anfechtung durch die Welt. Oder wie es Paulus sagt: Gott ist für uns.

Doch wie ist dieses „Gott für uns“ zu verstehen? Was meint Paulus damit?

Paulus kannte wohl auch den Psalm 46, den und den wir vorhin gehört haben. Dieser Psalm kann als erste Antwort auf diese Frage gelesen werden.

Der zentrale Gedanke des Psalm ist die Aussage „Der Herr der Heerscharen ist mit uns, eine Burg ist uns der Gott Jakob“. Dieser Ausdruck des Vertrauens auf Gott kehrt im Psalm dreimal wieder und bildet gewissermassen den Refrain.

Die drei dadurch gebildeten Strophen stehen für drei Kategorien von Bedrohung des Lebens. In der ersten Strophen ist die Bedrohtheit der menschlichen Existenz durch die Naturgewalten Thema. Dabei kommt aber zum Ausdruck das der eigentliche Herr dieser Gewalten Gott selbst ist. Er hat sie unter Kontrolle.

In der zweiten Strophe richtet sich der Blick auf Jerusalem als die Stadt des Wohnens Gottes unter den Menschen. Auch wenn seine Stadt immer wieder durch Kriegswirren bedroht wird, so wankt Sie dennoch nicht. Ja Gott ist nicht nur der Herr über Naturgewalten, sondern auch der Herr des Krieges. Er kann die Bogen zerbrechen, die Lanzen zerschlagen und die Schilde im Feuer verbrennen. Gott ist im Psalm Herr über Frieden und Krieg. Gott beherrscht die Chaosmächte. Bei ihm ist Zuflucht und er ist den Menschen eine Burg.

Dennoch die Menschen werden weder von Naturgewalten noch von Krieg grundsätzlich verschont. Es gibt Katastrophen, sei es durch entfesselte Naturgewalten oder durch Kriege. Gott bewahrt nicht von Erdbeben, Stürmen und Gewalt, aber er ist die Stärke der Menschen in all diesen Bedrohungen.

Auch im Römerbrief will Paulus nicht den Eindruck erwecken, dass die christliche Existenz nicht bedroht ist. „Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein?“ (Röm 8,31b) bedeute gerade nicht, dass der glaubende Mensch von allem Unglück und Trübsal bewahrt wäre.

Die Zürcher Bibel übersetzt den Vers 32 mit „Er, der seines eigenen Sohnes nicht verschont, sondern ihn für uns alle dahingegeben hat, wie sollte er uns mit ihm nicht auch alles schenken?“ Wirft man einen Blick in den Urtext, dann findet man dort das griechische Wort „charizomai“.

Dieses hat auch die Bedeutung von schenken, dennoch wird etwas anderes durch den Ausdruck betont. Im Wort „charizomai“ steckt auch „Charisma“, was in etwa bedeutet „gnädig gegebenes“. Betont wird die Unverdientheit des Geschenkes.

Wenn uns Gott auch alles andere mit Christus schenkt, dann nicht damit wir ein sorgloses und unbedrohtes Leben führen können. Paulus will mit dieser Aussage vielmehr die Beziehung zwischen Mensch und Gott klären. Gott gibt uns aus Gnade. Er hat uns gewählt; nicht wir haben ihn gewählt.

Dennoch bleibt unsere Existenz bedroht.

Trübsal, Angst, Verfolgung, Hunger, Nacktheit, Gefahr und Schwert zählt Paulus auf.

In dieser Liste der Bedrohungen fallen zwei Dinge auf. Zum einen sind alle Bedrohungen, abgesehen von der Verfolgung nicht nur für Christinnen und Christen schwerwiegend. In ihnen liegt die Grenzerfahrungen allen menschlichen Lebens zugrunde. Es geht Paulus also um die grundsätzlichen Bedrohungen des Lebens. Bedrohungen die alle Menschen treffen können unabhängig von Herkunft oder Glauben und gegen die sich der Mensch nur bedingt wehren kann.

Vergleicht man die Liste der Bedrohungen mit ähnlichen Listen der damaligen jüdischen Literatur und berücksichtig man besonders das Paulus sieben Kategorien von Bedrohung aufzählt, dann ergeben sich bedeutungsvolle Konsequenzen. Solche Bedrohungslisten treffen sonst immer nur die Gottlosen.

Nur der Gottlose ist durch Gott bedroht. Der Gottlose Mensch hat Gott verlassen, er ist von Gott getrennt. Die Gefahren der Welt werden für den Gottlosen zur Strafe Gottes.

Aber auch Christinnen und Christen sind durch manche Gefahr in der Welt bedroht. Sind wir Gottlose?

Nach Paulus ist es möglich, dass die Welt die Christinnen und Christen, wie Gottlose behandelt.

Uns können die gleiche Schicksalsschläge treffen, wie alle Menschen. Doch stehen wir nicht allein.

Gott ist mit uns.

Ein Ankläger der den Menschen bei Gott anklagt und den Menschen als von Gott getrennten, also als Sünder, hinstellt muss nach den Massstäben der Welt rechtbekommen. Gott als Richter hat alles recht uns zu verurteilen.

Aber Gott entscheidet sich anders. Nicht die Gerechtigkeitsauffassung der Welt ist im Massstab. Gottes Gerechtigkeit ist total anders. Er hat uns in Jesus Christus frei von Schuld gesprochen. Gott ist nicht der unparteiische Richter, er ist vielmehr unser Richter und Verteidiger in einem.

Paulus zeigt ein Bild eines Richters, dass unserer Auffassung von der Aufgabe eines Richters diametral entgegengesetzt ist.

Man stelle sich einen solchen Richter an unseren Gerichten vor! Das Urteil dieses Richters, der für den Angeklagten von vornherein Partei ergreift, würde von der nächst höheren Instanz umgehen revidiert und der Richter müsste sich wohl in einem eigenen Prozess für solch eine unrechtes Handeln verantworten.

Gottes Gerechtigkeit zeigt sich aber gerade in der Unrechtmässigkeit seines Urteils. Gottes Ungerechtigkeit rettet uns.

„Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein?“ (Röm 8,31b) fragt Paulus. Und es steht für ihn fest, niemand kann gegen uns sein. Es gibt kein Wesen, weder natürlicher noch übernatürlicher Herkunft das uns vor Gott anklagen kann. Nicht etwa, weil die Anklage nicht gerechtfertigt wäre, sondern weil Gott bereits für uns entschieden hat.

Paulus resümiert und schliesst den Teil der Rechtfertigung aus Glauben im Römerbrief mit den Worten „Denn ich bin dessen gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, noch Kräfte, weder Hohes noch Tiefes, noch irgendein andres Geschöpf uns zu scheiden vermag von der Liebe Gotttes, die in Christus Jesus ist, unserem
Herrn.“ (Röm 8,37-39)

Manche werden sich nun Fragen, was hat das mit meinem Leben zu tun? Mahl ehrlich, wer von uns kennt solche Bedrohungen aus seinem Alltag noch? Wann mussten Sie das letzte mal Hunger leiden oder Haben gefroren weil sie nichts zum Anziehen hatten?

Bilder von Menschen deren Existenz bedroht ist, kennen die meisten nur noch aus der Tagesschau. In der Schweiz muss niemand Krieg fürchten und verhungern muss bei uns schon lange niemand mehr.

Wir sind gar soweit, dass wir es uns leisten können die existenzielle Bedrohung schlechthin, unseren eigenen Tod soweit zu verdrängen, dass wir uns damit erst in den letzten Jahren unseres Lebens auseinander setzten müssen. Wir können es uns leisten das Paulinische Wort „Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein?“ (Röm 8,31b) zu bejahen und dabei den ersten Teil, das „Gott für uns“ zu vergessen. Unsere Frage lautet oft nur noch „Wer soll schon gegen uns sein?“ Schliesslich sind wir gegen jede Eventualität versichert, haben ein gut ausgebautes Gesundheits- und Sozialwesen. Im Leben haben wir so alles im Griff, es kann uns nichts passieren und wenn mal doch, so sind wir gut versichert.

Die Frage nach Gott und unsere Beziehung zu ihm stellt sich oft nur noch in den grossen Krisen des Lebens. Wenn es uns gut geht, ist Gott und erst recht die Kirche fern. Der Einladung zur Einkehr und Besinnung folgen nur noch wenige Menschen. Glockengeläut wird oft nur noch als Störung der Ruhe wahrgenommen.

Die Welt hat sich seit der Zeit von Paulus und dem Urchristentum gewandelt. Das hat uns viele Annehmlichkeiten und echte Vorteile gebracht. Wir können Krankheiten heute Heilen an denen man vor hundert Jahren noch gestorben ist. Die wirtschaftlichen Beziehungen und Abhängigkeiten der Länder unter einander bringen eine grosse Stabilität des Friedens mit sich. Die Unterdrückung und Verfolgung einzelner Gruppen in der Gesellschaft konnten wir weitgehend beseitigen. Nachrichten, wie die vom Amoklauf eines Neonazis in Belgien, lassen uns nur noch kurz aufhorchen. Sie zerstören unser Bild von einer freien Welt nur kurz. Und bei uns wird es schon nicht so schlimm sein.

Die konkreten Bedrohungen, die Paulus aufzählt betreffen uns heute wohl nicht mehr. Dennoch ist unser Leben immer noch sehr zerbrechlich. Nicht mehr auf einer existenziellen Ebene. Es geht gewissermassen nicht mehr um „Leben und Tod“. Dennoch kennen auch wir Situationen die uns zur Existenzbedrohung werden.

Soziale Netze und zwischenmenschliche Beziehungen sind heute bedroht. Der Mensch droht zu vereinsamen. Anonymes Wohnen wird zum Standart. Oft kennt man die eigenen Nachbarn nicht.

Der Arbeitsmarkt ist zum harten Dschungel geworden. Nur der stärkste überlebt. Wer nicht mithalten kann, hat Pech gehabt. Wenn die Götter unserer modernen Wirtschaftswelt, die Topmanager, Fehler machen, gehen ganze Grossbetriebe in den Bankrott und ganze Hundertschaften von Arbeiterinnen und Arbeitern verlieren nicht nur ihre Stelle. Der Verlust des Arbeitsplatzes bedeutet oft auch den Verlust von Lebensinhalt und Lebenssinn, der heute vielfach über die Arbeit und das Gefühl des Gebrauchtwerdens entsteht.

Unser Leben ist in Gefahr sinnlos zu werden. Wo finden wir unseren Sinn im Leben? Hat unser Leben überhaupt einen Sinn? Ist unser Leben Wertvoll? In solchem Fragen zeigt sich, dass auch das Leben des modernen Menschen bedroht und zerbrechlich ist. Zwar wissen wir oft nicht mehr darum, dennoch spüren wir diese Zerbrechlichkeit. Die Frage nach Gott in unserem Leben kann wohl für einige Zeit unterdrück oder zugedeckt werden. Dennoch nagt sie im Untergrund weiter.

Auch der moderne Mensche steht vor Gott. Doch scheint manchem die Erkenntnis aus der Frage „Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein?“ (Röm 8,31b) nicht mehr geläufig. Viele versuchen sich wieder selbst vor Gott zu rechtfertigen, anstatt das sie auf die Rechtfertigung durch Gott vertrauen.

All diesem sind wir gerade auch als Christinnen und Christen ausgesetzt, darin unterscheiden wir uns nicht von der Welt.

Gott bewahrt uns nicht vor den Bedrohungen des modernen Alttags, genauso wenig wie auch Paulus nicht unbedroht blieb. Aber wir dürfen hoffen und uns gewiss sein. Obwohl auch unser Leben zerbrechlich und bedroht ist, dürfen auch wir mit Paulus auf Gott unser Vertrauen und unsere Hoffnung setzten und mit ihm einstimmen und sagen: „Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein?“ (Röm 8,31b).
Amen

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