Was kann ich dafür?

Er erniedrigte sich
und wurde gehorsam bis zum Tod,
bis zum Tod am Kreuz.
Phil 2,8

Liebe Gemeinde

„Was kann ich dafür, dass…?“
Was kann ich dafür, dass es heute regnet? Was kann ich dafür, dass die Zeitung heute nicht im Briefkasten lag? Was kann ich dafür, dass meine Chefin mich heute Überstunden machen lässt? Was kann ich dafür, dass meine Kinder den Unterricht verpasst haben? Was kann ich dafür, dass die grossen Firmen Arbeitsplätze abbauen?

Was kann ich dafür?

„Was kann ich dafür?“ ist eine Frage. Meistens keine Frage, die eine Antwort will und neues Wissen schafft. „Was kann ich dafür?“ ist oft eine rhetorische Frage. Sie will verneint werden. Sie will hören: „Du kannst nichts dafür!“

„Was kann ich dafür?“ ist zu einer Entschuldigung geworden. Der Fragende will sich von einer möglichen Schuld freisprechen lassen. Er will hören: „Du bist nicht schuld daran, dass es ist, wie es ist. Du bist nicht schuld. Du bist unschuldig!“

Doch sind wir so schuldlos, wie wir meinen? Können wir wirklich nicht mehr tun, selbst dort, wo wir der Welt ohnmächtig gegenüberstehen? Ist es wirklich so leicht, sich selbst zu entschuldigen und zu fragen „Was kann ich denn dafür?“

Was kann ich dafür, dass die Welt ist, wie sie ist? Bin ich nicht ohnmächtig?

103 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Das sind 13,6 Millionen mehr als Ende 2021. Das heisst, dass allein am heutigen Karfreitag, am Tag des Gedenkens des Leidens Christi, wieder mehr als 37’000 Menschen neu aus ihrer Heimat vertrieben werden. Sehr viele sind Christinnen und Christen, wie wir.

Das christliche Hilfswerk «Open Doors» hat für das Jahr 2023 berechnet, dass rund 360 Millionen Christinnen und Christen, die heute dem Leiden Jesu gedenken, selbst verfolgt sind. Das heisst sie leiden unter Diskriminierung, Einschüchterung, Ächtung, sexuellen Missbrauch und Gewalt, bis hin zur ethnischen Säuberung und Völkermord.

Oder ein anderer Fakt: OXFAM hat für das Jahr 2016 berechnet: Die 62 reichsten Menschen nennen gleich viel ihr Eigentum, wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung zusammen. 40% der Menschheit muss mit weniger als zwei Dollar am Tag ihren Lebensunterhalt bestreiten. Ein Wert, der seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts gleich geblieben ist, trotz manchen guten Initiativen und dem UN-Milleniumsziel die Armut zu halbieren.

Oder ein Drittes: Unser Umgang mit der Schöpfung.

Verschiedene, vom Mensch verursachte Emissionen verstärken den natürlichen Treibhauseffekt der Atmosphäre. Durchschnittstemperaturen steigen; auch bei uns. Ohne Eingreifen durch Klimaabkommen und deren konsequente Umsetzung könnte die Erde in wenigen Jahrhunderten zu einem Wüstenplaneten werden. Gut, wenn es uns gelingt die Umwelt nicht länger als gegeben hinzunehmen, sondern als Schöpfung anzuerkennen, die uns zu einem verantwortungsvollen Umgang anvertraut ist. So wird es hoffentlich gelingen die Obergrenze der Erwärmung bei 1,5 bis 2 Grad Celsius zu halten.

1,5 bis 2 Grad klingt nach wenig. Doch für den Reifeprozess der vier wichtigsten Kulturpflanzen (Weizen, Reis, Mais und Soja) hat dies bereits Auswirkungen. Es muss mit Mindererträgen gerechnet werden. Mindererträge bei einer weiterhin steigenden Weltbevölkerung! Selbst wenn es gelingt den Klimawandel planmässig aufzuhalten, werden die Probleme nicht gelöst sein. Es warten nur weitere.

Aber eben: „Was kann ich dafür?“, will man sich gerne entschuldigen. Die Welt ist komplex und ihre Probleme kompliziert.

Bloss, heute am Karfreitag, ist nicht Zeit um entschuldigend zu fragen: „Was kann ich dafür?“. Es ist Zeit die Frage neu zu stellen: „Was kann ich dagegen?“ Bin ich bereit aus dem Leid am Kreuz zu lernen? Was kann ich tun? Was kannst du tun? Was können wir tun unter dem Kreuz von Golgatha?

Wenn nicht im Grossen, so doch wenigstens im Kleinen.

Es braucht eine neue Bescheidenheit. Es braucht einen neuen Blick auf den Nächsten. Es braucht neu das, was die Bibel als Gehorsam gegen Gott fordert.

Gehorsam, das ist so ein Wort, das gar nicht mehr in unsere Zeit passen will. Gehorsam, das wird mit einer überholten Erziehung in Verbindung gebracht. Gehorsam ist heute oft negativ besetzt. Wir erziehen unsere Kinder nicht mehr zum Gehorsam, sondern zu selbstständigen, freien Erwachsenen. Das ist richtig und gut so.

Doch geht dabei auch etwas verloren. Im Wort „Gehorsam“ steckt „hören“. Auf jemanden oder etwas zu hören ist nichts Schlechtes. Es macht aufmerksam für die Anliegen und Nöte der anderen.

Gehorsam sein, das heisst genau hinhören auf das Kreuz und auf das Leiden des Mensch gewordenen Gottes. Der Schmerz des Kreuzes hallt nach, in allem Leid, das Menschen sich zufügen. Der Schrei des Sterbens ist der Schrei nach Gerechtigkeit dessen, der unter Hunger und Durst leidet. Die Gewalt, die damals Christus an das Kreuz schlug, ist die Gewalt in der achselzuckenden Frage unserer Zeit: „Was kann ich denn dafür?“

„Was kann ich dafür?“ darf uns nicht entschuldigen. „Was kann ich dafür?“ muss zur Frage werden, die weiter führt. Die Frage, die nach dem Nächsten fragt. Die sich um ihn und seine Not kümmert.

Es mag sein, dass ich für diese Nöte und Bedürfnisse, nichts kann. Die ich aber, wenn ich mich selber nicht als das Wichtigste nehme, hören kann. Manchmal braucht es gar nicht viel um, wenn nicht die Welt, so doch das Leben meines Nächsten zu verändern. Es muss nicht der Gehorsam Jesus bis zum Tod sein, aber es soll doch der Gehorsam – das sorgfältige hinhören – in seinem Geist sein.

Denn eines stimmt: Ich kann nichts dafür, dass Christus für mich und meine Schuld gestorben ist. Ich kann nichts dafür, dass Gott mir in ihm alles schenkt. Ich kann nichts dafür, dass im Brechen seines Leibes, mein Leib aufgerichtet wird. Ich kann nichts dafür, dass dort, wo er den Geist aushaucht, mir der Geist geschenkt wird.

Ich kann nichts dafür, doch lebe ich aus dieser Gnade. Alles ist mir im Kreuz geschenkt. Ich bin ganz passiv. Ich erleide meine Rettung. Ich werde erhöht, weil Christus sich erniedrigt hat.

Was für ein Geschenk, das da uns allen gemacht wird. Was für ein Geschenk für diese Welt. Was für ein Geschenk, dass wir nicht länger fragen müssen: „Was kann ich dafür?“ Wir müssen nichts dafür können. Wir dürfen hören. Wir sind eingeladen gehorsam zu sein gegen das Wort Gottes, das uns rettet.
Amen

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